29.8.2007: Schönwettersegeln bei der Sachsen LB
28.8.2007: LBBW als Retter der Sachsen LB
24.8.2007: Sabbatjahr und Erlaßjahr
24.8.2007: Verbriefung von Immobilienkrediten
13.8.2007: Eine Zentralbank ist keine Hypothekenversicherung
8.8.2007: Zwangsvollstreckungen in Großbritannien
7.8.2007: Was ist sozial?
6.8.2007: Neue Instrumente - neue Risiken
4.8.2007: Ludwig Erhard und der Mindestlohn
29.8.2007: In der F.A.Z. von heute ist unter der Überschrift “Das Schönwettersegeln ist vorbei” ein Interview mit Ministerpräsident Milbradt zur Entwicklung bei der Sachsen LB abgedruckt. Darin finden sich zahlreiche verräterische Formulierungen, die auf einen Versuch hindeuten, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Im Einzelnen:
- verweist der MP auf “die von den Wirtschaftsprüfern testierten Risiken, in der Regel mit Triple-A bewertete Papiere”. Man durfte also blind auf die Einstufungen der Ratingagenturen vertrauen, egal in welchen Ramsch man letzten Endes investiert hatte. So kann ein Kleinsparer argumentieren, aber nicht Bankvorstände, Verwaltungsräte und Minister.
- gibt der MP zu bedenken, daß “der gesamte Markt durch die Hypothekenkrise in den Vereinigten Staaten zum Erliegen kommt, wurde von keinem Finanzexperten vorhergesehen”. Vorhergesehen nicht, aber befürchtet, z.B. im Juli 2006 vom Verband der amerikanischen Hypothekenversicherer. Außerdem treten Finanzmarktkrisen und Kreditklemmen in periodischen Abständen auf. Man erinnere sich an die Asien- und Rußlandkrise des Jahres 1998. Nein, die Conduit-Konstruktionen sind Wetten auf Zeit. Jede Finanzmarktkrise kann zu einem Austrocknen ihrer Refinanzierungsquellen und / oder zur Illiquidität ihrer Investments führen. Die eingegangenen Risiken waren nach Umfang und Dauer für die Sachsen LB nicht tragbar.
- beruft sich der MP darauf, daß “alle Landesbanken zur Ergänzung ihres Heimatmarktes umfangreiche Auslands- und Wertpapiergeschäfte aufgebaut” haben. Er beruft sich also auf Herdenverhalten. Alle zocken und wir waren auch dabei. Daß andere Landesbanken mit ihren Auslandsaktivitäten viel Geld in den Sand gesetzt haben (z.B. Mrs. Robin Saunders im Auftrag der West LB), durfte man nicht als Warnsignal nehmen.
- behauptet der MP die 250 Mio. Euro, die für die Garantie des Fonds bereitgestellt werden mußten, wurden “im Rahmen der Fusion von der LBBW übernommen”. Das grenzt schon an Volksverdummung. Natürlich ist die Braut jetzt 250 Mio. Euro weniger wert. Die 250 Mio. Euro gehen zu Lasten des sächsischen Steuerzahlers.
- stellt der MP fest, daß “in der gegenwärtigen Situation nur große Banken die Durststrecke überstehen können, bis die Märkte wieder funktionieren.” Als ob das Überleben eine Frage der Größe wäre. Es ist eine Frage der Risikoexposition im Verhältnis zum Eigenkapital.
- schätzt der MP das Risiko, daß die LBBW von der Rückgabeklausel Gebrauch machen wird, als “gering” ein. Im Übrigen würde die LBBW einen erheblichen materiellen und ideellen Schaden erleiden. Im Klartext: Das Risko ist eigentlich sehr hoch zu veranschlagen, aber das Prestigedenken der LBBW wird uns (hoffentlich) vor der Rückgabe schützen.
- glaubt der Ministerpräsident, daß “Baden-Württemberg eine ähnliche Wirtschaftsstruktur wie Sachsen hat”.
26.-28.8. 2007: Die LBBW hat als Retter in der Not die Landesbank Sachsen übernommen. Müssen wir dafür dankbar sein? Hat nur das beherzte Eingreifen des Ministerpräsidenten die Bank und das Land vor größerem Schaden bewahrt? Es ist von einem Kaufpreis von rund 300 Millionen Euro die Rede - bei einem Eigenkapital der Sachsen LB in Höhe von 1,5 Mrd. Euro. Die momentan existierenden Risiken sollen aber weiter bei den jetzigen Eigentümern der Sachsen LB verbleiben. Der Ministerpräsident hatte sich am Sonntag Vormittag mit den Fraktionschefs getroffen, um deren Zustimmung zu dem sofortigen Notverkauf zu erhalten. Der Landtag wurde wegen der angeblichen Notlage umgangen. Daß die BaFin für die Übernahme der Sachsen LB durch eine andere Landesbank ein Ultimatum bis Sonntagabend 24.00 Uhr gestellt haben und andernfalls mit der Abwicklung der Sachsen LB gedroht haben soll, wurde inzwischen aber dementiert. Der Grund für die hektische Suche nach einem neuen Eigentümer war ein neues Finanzloch. Die Sachsen LB hatte für einen von der Barclays Bank verwalteten Fonds mit 350 Millionen Euro (nach anderen Quellen 250 Millionen Euro) Eigenkapital gehaftet, der nun aufgrund der Lage am Kapitalmarkt geschlossen wurde. Damit wurde die Zahlung fällig, die die Sachsen LB aber offenbar nicht leisten konnte, ohne ihre Bonität endgültig zunichte zu machen. Hier hätte das Land zwar mit einer weiteren Eigenkapitalzuführung einspringen können. Dies wäre jedoch mit erheblichen politischen und europarechtlichen Risiken verbunden gewesen. Also wieder ein verschwiegenes Risiko. Die Bank ist innerhalb von neun Tagen zweimal zahlungsunfähig gewesen. Was wird als nächstes an den Tag kommen? Die in die sächsische Staatskanzlei gebetenen Vorsitzenden der Fraktionen äußerten, die Notverkaufsaktion sei “im Interesse des Landes”. Da habe ich meine Zweifel. Kann man eine so fundamentale Entscheidung derart übers Knie brechen? Man hatte doch unter dem angeblichen Handlungsdruck der Situation gar nicht die Möglichkeit, nach anderen Käufern oder Alternativen zu suchen. Die Landesregierung und insbesondere der Finanzminister tragen die politische Verantwortung dafür, daß diese Zwangslage überhaupt erst entstehen konnte. Die Feuerwehr hat den von ihr selbst gelegten Brand im letzten Augenblick gelöscht. Es ist alles anderes als sicher, daß dabei die bestmögliche Lösung herausgekommen ist. So werden die alten Risiken ja eben nicht von der LBBW übernommen. Es ist allerdings beruhigend, daß die LBBW ab sofort treuhänderisch das Heft in die Hand nimmt. Die Verantwortlichen stehen nun auf den ersten Blick wie unbedarfte Anfänger da, die einmal in derselben Liga wie die Ackermänner spielen wollten. Das Vertrauen in die fachliche und persönliche Eignung der Akteure ist dahin. Nicht zu bestreiten ist, daß die Bank über ihre irische Tochtergesellschaft über Jahre hinweg unverantwortliche Risiken eingegangen ist. Sie ist nicht das Opfer einer ungünstigen Entwicklung am amerikanischen Subprime-Kreditmarkt geworden, wie der Ministerpräsident glauben machen will. Die von der Sachsen LB im großen Stil eingesetzten Conduit-Konstruktionen sind per se unverantwortlich. Der Conduit Ormond Quai ist außerbilanziell, einseitig investiert, praktisch mit Null Eigenkapital ausgestattet und hat ein unübersehbares Prolongationsrisiko auf der Refinanzierungsseite, das jetzt schlagend geworden ist. Wenn man eine solche Konstruktion über Jahre fährt, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Refinanzierung aufgrund der Kapitalmarktsituation eines Tages problematisch wird. Der Conduit war auf Gedeih und Verderb auf die kurzfristige Refinanzierungsquelle “Asset Backed Commercial Paper” (ABCP) angewiesen - eine Schönwetterkonstruktion. Die verantwortlichen Politiker und vorneweg der Ministerpräsident verweisen an dieser Stelle immer auf die guten Ratings für die Papiere, in die die Conduits investiert haben. Zu Unrecht, denn es bleibt die Tatsache bestehen, daß man letzten Endes in Ramschkredite investiert hatte. Außerdem hatte sich die durchschnittliche Kreditqualität in den USA in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert. Bei der subprime-Krise an den primären Kreditmärkten in den USA hat es sich um eine „Krise mit Ansage“ gehandelt. Ich zitiere beispielhaft aus einem Brief des Verbandes der amerikanischen Hypothekenversicherer Mortgage Insurance Companies of America (MICA) an den Chair der Federal Deposit Insurance Corporation, den Chairman des Board of Governors des Federal Reserve System, den Comptroller of the Currency und den Director des Office of Thrift Supervision vom 10. Juli 2006: „ … we are deeply concerned about the potential contagion effect from poorly-underwritten or unsuitable mortgages and home equity loans.“ (“Wir sind zutiefst besorgt über die potentiellen Ansteckungseffekte zweitklassiger und unangemessener Hypothekendarlehen und Eigenheimkredite.“) Denen, die sich immer wieder auf die Ratingeinstufungen berufen, sei gesagt: Es ist ein großer Unterschied, ob man in Pfandbriefe oder gedeckte Schuldverschreibungen wie RMBS (Residential Mortgage Backed Securities) oder CDO (Collateralised Debt Obligations) investiert. Bei einem Pfandbrief steht eine ganz andere Kreditqualität hinter der Emission und die Pfandbriefbank muß erst einmal insolvent werden, damit sich die Frage nach der Qualität der Deckungswerte der Pfandbriefe überhaupt stellt. MBS-Emissionen haben dagegen eine sehr spezifische „Deckungsmasse“ mit zum Teil minderwertigen „Deckungskrediten“. Es kommt hinzu, daß Pfandbriefemissionen heute größtenteils standardisiert und liquide sind, so daß man ein Engagement nötigenfalls auch rasch wieder abbauen kann. Davon kann auf dem unübersichtlichen MBS-Markt keine Rede sein. Die Conduit-Konstruktion ist also nicht nur wegen der immanenten Prolongations- und Zinsänderungsrisiken problematisch, sondern auch wegen der mangelhaften Qualität und Liquidität der aktivseitigen Investments. Damit steht aber fest: Wer sich hier engagiert, kann dies nur in angemessenem Umfang und unter Beachtung strengster Anforderungen an Controlling und Risikomanagement tun. Beide Voraussetzungen sind im Falle der Sachsen LB über Jahre hinweg gröblich verletzt worden. Das Volumen der von der Sachsen LB betriebenen Conduits ist atemberaubend und steht in keinem Verhältnis zum Eigenkapital der SachsenLB und zu den finanziellen Möglichkeiten des Gewährträgers. Dies hat die Bank aber nicht davon abgehalten, allein dem Conduit Ormond Quai eine Kreditlinie einzuräumen, die ihr bilanzielles Eigenkapital um mehr als das 16-fache übersteigt. Man braucht nicht Bankwirtschaft studiert zu haben, um hierin ein nicht tragbares Kumulrisiko zu erkennen. Einem einzelnen Schuldner dürfen keine Kreditlinien dieser Größenordnung eingeräumt werden und schon gar nicht einem derartigen virtuellen Schuldner mit solchen Investitions- und Refinanzierungsrisiken. Keine seriöse Bank – ob öffentlich oder privat – darf solche Geschäfte machen. Mit dem öffentlichen Auftrag hat dies nichts zu tun. Oder sollte die Sachsen LB vom Land und von den Kommunen als Finanzbeteiligung nach dem Motto „Alles auf grün“ angesehen worden sein? Es gilt inzwischen ja als Binsenwahrheit, daß man mit den üblichen Grundgeschäften einer Landesbank in Sachsen nicht genügend Gewinn erzielt werden kann. Das ist nun das Ende des Traums von der eigenen Landesbank. Bleibt nur zu hoffen, daß sich die Haushaltsbelastungen für den Freistaat Sachsen in Grenzen halten werden. Wegen der Dimensionen und der Dauer des Versagens des Corporate Governance-Systems der Bank, der Art und dem Ausmaß der bisher ans Licht gekommenen Risiken und der bisherigen Informationspolitik in der Krise, würde es aber niemand überraschen, wenn hier noch mehr Leichen im Keller lägen. Außerdem können die Abwicklungsverluste aus den Conduits derzeit nicht zuverlässig prognostiziert werden. Im schlimmsten Fall kann die LBBW von der Rückgabeklausel Gebrauch machen. Wer ist nun für den hoffentlich abgewendeten Untergang der Sachsen LB verantwortlich? Der Vorstand, der Verwaltungsrat oder die Landesregierung? Dem amtierenden Verwaltungsrat und dem amtierenden Vorstand muß man zugute halten, daß man die Engagements in den irischen Conduits aufgrund des Liquiditätsgrades der Investments nicht über Nacht auf Null zurückführen konnte. Daß diese Risiken dem Vorstand und dem Kontrollgremien bekannt waren, steht außer Zweifel. Es ist fraglich, ob die Rückführung der Engagements so rasch durchgeführt wurde, wie es ohne Inkaufnahme von Veräußerungsverlusten möglich gewesen wäre. Wenn man einen politischen „Haupt-Verantwortlichen“ benennen will, so muß man nach Personen suchen, die schon zu der Zeit, als die Risiken noch unter dem Schirm der Gewährträgerhaftung aufgebaut worden sind, in der Verantwortung standen. Und da kommt man an der Person des amtierenden Finanzministers und Verwaltungsratsvorsitzenden nicht vorbei. Aus ordnungspolitischer Sicht gehört das ganze Geschäftsmodell “Landesbank” nun auf den Prüfstand. Das war ja nicht die erste Fehlspekulation einer Landesbank. Daß die Gewährträgerhaftung weggefallen ist, war grundsätzlich ein richtiger Anreiz, um die Risiken in Einklang mit dem Eigenkapital und den Kapazitäten des internen Risikomanagements zu bringen. In der Folge hätten insbesondere die außerbilanziellen Risiken der Sachsen LB und anderer Landesbanken so rasch wie möglich auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden müssen. Nun müssen die Eigentums- und Corporate Governance-Strukturen der Landesbanken angefaßt werden. Verwaltungsräte müssen heutzutage eine bank- oder finanzwirtschaftliche Qualifikation vorweisen können. Fachlich nicht vorbelastete Minister, Landräte und Sparkassenvorstände aus der Provinz können ein Gebilde wie die Sachsen LB nicht effektiv kontrollieren. Sie können die Risiken moderner Verbriefungstechniken nicht einschätzen und sich bestenfalls auf das fachliche Urteil von „Experten“ und die Einstufungen der Ratingagenturen verlassen. Außerdem sind die Verwaltungsräte der Landesbanken viel zu groß. Dadurch wird die persönliche Verantwortlichkeit des einzelnen Mitglieds gewissermaßen atomisiert. Schließlich treffen sich die Verwaltungsräte viel zu selten (bei der LBBW 4 Mal in 2006). Die Zusammensetzung des LBBW-Verwaltungsrates ähnelt übriges der der Sachsen LB: Viel Politik, wenig Bank. Vor diesem Hintergrund hat sich die Situation für Sachsen durch den Verkauf möglicherweise verbessert. Bei den Landesbanken kommt es aber nicht nur darauf an, größere Einheiten zu schaffen, sondern endlich auch effektive Kontrollstrukturen. Die Verwaltungsräte müssen professioneller werden und stärker in die Strategieformulierung und die laufende Risikoüberwachung eingebunden werden.
24.8.2007: Ein Interpretationsversuch der Bibelstelle über das Sabbatjahr und das Erlaßjahr: Theologen stehen vor der schwierigen Aufgabe, Texte zu interpretieren, die in einem uns heute völlig fremden institutionellen Kontext entstanden sind. Gefordert ist hier eine geistige Transformationsleistung. Man muß die Frage beantworten, welche Institutionen und Verhaltensweisen in unserer heutigen Gesellschaft zu den Ergebnissen führen würden, die mit den archaischen Institutionen intendiert waren. Das läßt natürlich viel Spielraum für unterschiedliche Interpretationen.
24.8.2007: Ein Zitat aus dem unter der Überschrift “Aktuelle Trends bei der Verbriefung von Immobilienkrediten” in Immobilien & Finanzierung Nr. 13/2007 vom 1.7.2007 erschienenen Beitrag von Peter Rieck, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der HSH Nordbank AG, Hamburg/Kiel:
“Der Umstand, daß die Kredite nochmals durch die Rating-Agenturen bewertet werden, ist auch einer der wesentlichen Gründe dafür, daß die ABS-Papiere von internationalen institutionellen Investoren besonders stark nachgefragt werden und dem Markt aus diesen Quellen eine erhebliche Liquidität zufließt.”
Nun sind die Quellen ausgetrocknet.
13.8.2007: Obwohl ich die Auswirkungen der Hypothekenkrise nie kleingeredet habe, bin auch ich von der Wucht der Ereignisse überrascht worden. Die Folgen haben Ende letzter Woche den Interbanken-Geldmarkt erreicht. Wir standen vor einem Zusammenbruch des Zahlungssystems, weil die Banken sich untereinander kein Zentralbankgeld mehr leihen wollten. War es richtig, daß die Zentralbanken eingegriffen haben? Auf kurze Sicht ja, auf lange Sicht werden durch solche Aktionen falsche Anreize gesetzt. Eine Zentralbank ist keine Hypothekenversicherung!
8.8.2007: Im Guardian vom 4. August wird berichtet, daß die Zahl der Zwangsvollstreckungen in Großbritannien im ersten Halbjahr 2007 um 30 Prozent gestiegen sei. Wie nicht anders zu erwarten kommt das Wachstum in erster Linie aus dem subprime-Sektor, also von den Hypotheken mit schlechter Bonitätseinstufung. Die Bonität vieler Schuldner ist offenbar so miserabel, daß schon bescheidene Zinssteigerungen zum Kollaps der Finanzierungen führen. Ist das nun nach den USA der zweite Brandherd der Hypothekenkrise?
Im Geiste gehe ich die Länder durch, die in den letzten Jahren die höchsten Zuwachsraten bei den Hauspreisen und Eigenheimkrediten hatten. In der Financial Times vom 21.3. findet sich ein Artikel über den spanischen Markt, den man als halbe Entwarnung nehmen kann. Die traditionellen Daumenregeln der Kreditvergabe (hinsichtlich Beleihungsgrenze und Belastbarkeit) scheinen bei großen Häusern wie Banco Popular und BBVA noch beachtet zu werden. Als Risikogruppe gelten aber die Immigranten, die zu einer wichtigen Zielgruppe für Hypothekarkredite geworden sind. Es handelt sich um etwa 4 Mio. Menschen. Bei der Bank Caja Madrid haben sie einen Anteil von 20 Prozent am gesamten Hypothekenportfolio. Daß diese Zielgruppe größtenteils nicht über eine Kredithistorie verfügt, war kein Hinderungsgrund bei der Kreditvergabe. Auch Kredite mit risikoerhöhenden Merkmalen wie 5 tilgungsfreien Anfangsjahren wurden an Immigrantenhaushalte vergeben. Außerdem sind in Spanien die Hypothekarkredite überwiegend variabel verzinslich. Es kommt hinzu, daß die spanische Volkswirtschaft extrem abhängig von der Bau- und Immobilienwirtschaft ist. Obwohl der Anteil notleidender Kredite in Spanien bis jetzt noch gering ist, kann man sagen, daß hier erhebliche Risiken schlummern, die in einem ungünstigen makroökonomischen Umfeld schlagend werden könnten.
Einen hochentwickelten subprime-Markt für Eigenheimfinanzierungen gibt es offenbar nur in den USA, in Großbritannien und in Irland, ansatzweise auch in Spanien. Gerade die letztgenannten europäischen Länder haben seit Mitte der 90er Jahre nicht nur die größte Kreditexpansion, sondern auch die höchsten Steigerungsraten bei den Eigenheimpreisen erlebt. Das ist kein Zufall. Es handelt sich hier um eine von kreditgetriebene Hauspreisinflation vor dem Hintergrund fallender Refinanzierungszinsen und gelockerter Kreditvergabestandards aufgrund verbesserter Möglichkeiten des Risikotransfers.
Wie sieht die Prognose aus? Wir wollen nicht nur schwarz malen. Es ist möglich, daß die überhitzten Märkte eine weiche Landung erleben werden. Es wird hierbei ganz wesentlich auf das weltwirtschaftliche Umfeld ankommen. Das schlimmste Szenario wäre eine Stagflation. In einem Umfeld mit stagnierenden Wachstums- und steigenden Inflationsraten würden wir einen schnellen und heftigen Zusammenbruch vieler Schuldner erleben. Das Risiko für eine katastrophale Immobilienkrise war jedenfalls selten so hoch.
Meine Empfehlung für Anleger: Keine Panik, aber auch keine Aktienpositionen aufbauen, statt dessen krisenempfindliche Sektoren (Bauwirtschaft, Banken) im Portfolio reduzieren. Portfolio nach unten absichern, bis die Auswirkungen der Krise klar sind. Ängstliche Naturen sollten den Aktienanteil im Portfolio reduzieren. Die Schockwellen der Krise in Europa verfolgen. Ich glaube, daß die Finanzmärkte auf eine Salve von schlechten Nachrichten sehr heftig reagieren werden.
7.8.2007: Diskussionsveranstaltung “Was ist sozial?” mit Ottmar Schreiner in Zittau, Gemeindehaus der evangelischen Kirche.
6.8.2007: Benedikt Fehr hat in der F.A.Z. von heute unter der Überschrift “Lernkurve an den Kreditmärkten” die Hypothekenkrise kommentiert. Eine flüssig und kompetent geschriebene Analyse des Problems - bis auf den letzten Absatz. Da heißt es:
“Die neuen Instrumente schaffen keine neuen Risiken, sondern zerlegen die bestehenden auf raffinierte Weise in einzelne Komponenten, machen sie handelbar und in Marktpreisen bewertbar.”
Das ist aus folgendem Grunde nicht zutreffend: Die besseren Möglichkeiten der Dispersion von Kreditrisiken, die mit der zunehmenden Verbreitung von Kreditverbriefungen und Credit Default Swaps (CDS) verbunden sind, schaffen die Voraussetzung dafür, daß die Banken auf den Primärmärkten für Eigenheimfinanzierungen höhere Risiken eingehen können. Ohne die Finanzinnovationen hätte ein subprime-Markt für Kreditnehmer mit zweitklassiger Kreditwürdigkeit in den USA allenfalls in ganz kleinem Umfang entstehen können. Das Gegenteil ist also richtig:
“Die neuen Instrumente haben in gewaltigem Umfang neue Risiken geschaffen.”
Man kann sie geradezu als den Treibsatz der Entwicklung bezeichnen. Die Verursachungskette sieht folgendermaßen aus:
4.8.2007: Ein Zitat von Ludwig Erhard vom 20.6.1953: “Als Grundsatz muß wieder zur Geltung kommen, daß jeder arbeitende Mensch ohne gnädige Hilfe des Staates und ohne in seine Abhängigkeit zu geraten seine materielle Existenz und die Vorsorge für seine Zukunft aus eigener Kraft und Leistung heraus sicherzustellen in der Lage sein soll.” Quelle: Erhard, L.: Gedanken aus fünf Jahrzehnten, Düsseldorf u.a. 1988. Das hört sich aus heutiger Sicht wie ein Plädoyer für Mindestlöhne an. Tatsächlich war es für Erhard im Jahre 1953 nicht vorstellbar, daß ein am Markt erzielter Lohn - und sei es auch für eine ungelernte Tätigkeit - nicht ausreichen könnte, um davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Was würde Erhard uns heute raten? Darüber läßt es sich trefflich spekulieren. Wahrscheinlich würde er auf Aus- und Weiterbildung setzen und eventuell auf Kombilöhne als Übergangslösung.
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