12.12.2008: Überbrückungshilfe für die drei Automobil-Dinosaurier vom Senat abgelehnt
4.10.2008: Finanzkrise: Die EU muß das Heft in die Hand nehmen
1.10.2008: Sozialisierung der Finanzwirtschaft?
30.9.2008: Schieflage der Depfa bedroht den Pfandbriefmarkt
29.9.2008: Brot oder Freiheit?
29.9.2008: The end of all hopes
19.9.2008: Fundstücke von Obama und der Fed
16.9.2008: Das Vertrauen ist weg
15.9.2008: Lehman, AIG und Washington Mutual: Herausforderungen für das staatliche Krisenmanagement
8.9.2008: Fannie und Freddie unter Vormundschaft
30.7.2008: Ein Jahr Finanzkrise: Vom Geist der Gesetze
29.7.2008: Spanische Immobilienkrise: Malle für alle
14.7.2008: Hilfe für Fannie und Freddie angekündigt
13.7.2008: Risiko und Haftung
1.7.2008: Flexibilität und Mobilität
30.6.2008: Zittau als Filmstadt
11.6.2008: Wahlen werden in der Mitte gewonnen
8.6.2008: Schüler, Lehrer und Meister
24.4.2008: Josef Ackermann und die Atomisierung der Kredite
23.4.2008: Was ist ein fairer Preis?
22.4.2008: Fundstücke, u.a. von Paul Volcker und der WestLB
19.4.2008: Das Derivateengagement des Investmenthauses Bear Stearns
18.4.2008: Frank H. Knight und die Ethik des Wettbewerbs
16.4.2008: Rücktrittsaufforderung an die Steuerzahler
14.4.2008: Konservativ im Sturm
13.4.2008: Sinn und Zweck von Prüfungen
12.4.2008: Milliardenhilfe für Amerikas Hausbesitzer
11.4.2008: Welt im Kofferraum
9.4.2008: Görlitzer Sozialkonferenz
7.4.2008: Non recourse-Finanzierungen: Eine Ursache der Finanzkrise
5.4.2008: Frühzeitige Aufteilung von Schülern
29.3.2008: Ormond Quai auf Weltniveau
29.3.2008: Prof. Milbradt zur Sachsen LB
28.3.2008: Sekundärmarkt für Hypotheken
18.3.2008: Das Ende der deutschen Bilanz
13.3.2008: Hellseher Mark Schieritz
19.2.2008: Ein bißchen Passion gehört dazu
15.2.2008: Jeder Mensch hat seine eigene Definition von Wohnen
17.1.2008: Methodik der Ratingagenturen
12.12.2008: Der Senat hat die Überbrückungshilfe für die drei US-Automobil-Dinosaurier abgelehnt. Damit dürften Chrysler und General Motors gezwungen sein, noch vor dem Jahresende Gläubigerschutz zu beantragen. Das erinnert ein wenig an die erste Abstimmung über das Bankenrettungspaket im Oktober. Doch diesmal wird es wohl keine zweite Abstimmung im Senat geben. Damit ist gleichsam der Fall Lehman für die Automobilindustrie eingetreten. Die Ansteckungseffekte sind jedoch nicht mit denen des Lehmankonkurses zu vergleichen. Es wird die Zulieferer hart treffen, aber die anderen Hersteller werden zunächst nur indirekt betroffen sein. Es wäre allerdings möglich, daß die Finanzmärkte nun allen Automobilherstellern mit undifferenziertem Mißtrauen begegnen. Dies könnte ihre Fremdkapitalzufuhr weiter verteuern oder im Einzelfall sogar unmöglich machen. Die Entscheidung des US-Senates wird sich auch auf Europa auswirken. Man kann nun nicht ohne weiteres mit Verweis auf das schlechte transatlantische Beispiel europäische Konkurrenten mit staatlichen Hilfen versehen. Möglicherweise handelt es sich sogar um einen wirtschaftspolitischen Wendepunkt. Das wäre dann der Fall, wenn es auch weiterhin keine branchen- oder unternehmensbezogenen Hilfen außerhalb des Finanzsektors geben wird. Alles in allem stellt sich die Wirtschaftspolitik der USA aber in zunehmendem Maße als unkoordiniert und widersprüchlich dar. Die Fed schlägt wild um sich und zieht ständig neue Instrumente aus dem Köcher, „die nicht im Lehrbuch stehen“. Sie akzeptiert alle möglichen zweifelhaften Wertpapiere als Sicherheiten, steigt indirekt in die Unternehmensfinanzierung ein und will nun sogar selbst Anleihen emittieren. Dieser ungeahnten Flexibilität ohne jegliche ordnungspolitische Bedenken steht eine gewisse Schwerfälligkeit des Gesetzgebers gegenüber. Weil die Unsicherheit über die Folgen von Handlungen und Unterlassungen der Wirtschaftspolitik ein historisch einmaliges Ausmaß erreicht hat, kann man aber noch nicht einmal sagen, wer richtig liegt. Und wir werden es auch nie wissen. Wir werden nie erfahren, wie die Krise nach einer Rettung von Lehman oder einem Notkredit für die US-Automobilindustrie weiter verlaufen wäre. Ständig steht die Wirtschaftspolitik vor historischen Entscheidungsknoten und sie muß entscheiden, ohne eine klare Vorstellung über die Folgen zu haben. Zu dieser Situation paßt der Watership Song von Users Atmosphere besser als Jingle Bells. Darin heißt es: „Manchmal habe ich keine Vorstellung von unserer Zukunft. Es ist wie Umrisse von Hügeln und Bäumen hinter einem Regenschleier.“
4.10.2008: Die Lage ist ernster denn je. Gerade habe ich die Tagesschau geschaut: Die EU will keinen Rettungsplan nach US-Vorbild beschließen. Das haben wir nicht zuletzt dem Widerstand der deutschen Seite zu verdanken. Nicht gut, dachte ich, denn das Gewurschtel der einzelnen Staaten war ja langsam nicht mehr mit anzusehen, zum Beispiel die umfassenden irischen Garantien und die zu Recht verärgerte Reaktion der Briten darauf. Mein nächster Gedanke war, vielleicht kommt es ja gar nicht so knüppeldick, vielleicht haben wir das Schlimmste schon hinter uns. Immerhin, an diesem Wochenende war noch keine Bank ins Schlingern geraten. Dann kam die Meldung über das Scheitern des Rettungsplanes für die Hypo Real Estate. Der Kapitalbedarf sei viel größer als erwartet, die privaten Banken seien ausgestiegen. Also wieder ein Verhandlungsmarathon unter höchstem Zeitdruck - bevor die Börsen in Asien eröffnen. Der Pfandbriefmarkt darf in den Abgrund dieser Krise nicht noch weiter reingezogen werden - das wäre aberwitzig. Und: Wir müssen jetzt so großzügig denken wie die Amerikaner. Die EU muß das Heft jetzt in Hand nehmen. Wir haben den gemeinsamen Währungsraum, dann machen wir jetzt auch das Krisenmanagement zusammen. Es geht nicht anders. Diese Krise hat solche Dimensionen, daß die größte Einheit handeln muß. Wir müssen jetzt in der EU alle nationalstaatlichen Egoismen ablegen. Die Botschaft muß an den Märkten ankommen, daß die Mitgliedsländer solidarisch zusammenstehen und alles tun, um die Folgen so gut wie möglich abzufedern. Und danach reformieren wird zusammen den Finanzsektor, damit sich so etwas nie wiederholen kann. Keine nationalen Alleingänge mehr.
1.10.2008: Die Lage muß wirklich ernst sein. Der als pragmatisch angesehene Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis J. Snower, hat in der F.A.Z. von heute seinen Rettungsplan mit 5 Punkten vorgestellt (F.A.Z. v. 1.10.2008, Nr. 230, S. 16). Was er vorschlägt, ist eine weitgehende Sozialisierung der Finanzwirtschaft. Wenn dieser Beitrag von Prof. Bofinger oder Prof. Hickel gekommen wäre, hätte ich mich nicht weiter gewundert, aber Dennis Snower von den früheren ordnungspolitischen Lordsiegelbewahrern aus Kiel? Was schreibt er? Die Einzelfalltherapie reicht nicht mehr aus - d’accord - und der Paulson-Plan hat den offensichtlichen Nachteil, daß ihn der Gesetzgeber erst beschließen muß. Man reibt sich die Augen: Snower will ein automatisches Regelwerk schaffen, eine Art Super-Treuhand, die vom Steuerzahler mit unbegrenzten Mitteln ausgestattet nach eigenem Gutdünken faule Vermögenswerte von Finanzinstitutionen ankauft und sich im Gegenzug an den Verkäufern beteiligt. Die “Schützlinge” sollen von der Mammutbehörde (oder vom Finanzministerium?) auch gleich reguliert und beaufsichtigt werden. Über seinen Plan einer internationalen Finanzregulierung und -aufsicht läßt sich reden, aber mit der Super-Treuhand schießt er übers Ziel hinaus. Was Snower eigentlich will, ist mir nicht ganz klar. Den Paulson-Plan institutionalisieren und das Parlament außen vor lassen? Von moralischem Risiko und ordnungspolitischen Grundsätzen habe ich bei ihm nichts gelesen. Man wünscht sich beinahe, daß jetzt ein paar deutsche Hochschullehrer zusammen mit Herrn Barbier die Fahne der Ordnungspolitik hochhalten, um einen Kontrapunkt zu setzen. Die Schnellschüsse sollten wir den Politikern überlassen. In Wahrheit sind die Ökonomen mit ihrem Latein am Ende. Nehmt Euch 25 Jahre Zeit, um diese Jahrhundertkrise zu analysieren.
30.9.2008: Deutschland ist nun in das Zentrum der Krise gerückt. Die irische Hypo Real Estate-Tochter Depfa bekam keine Refinanzierungsmittel mehr, obwohl sie in erster Linie Staatskredite in sichere Länder vergibt. Die Insolvenz des Mutterhauses wurde im letzten Augenblick verhindert. Die Hypo Real Estate ist einer der größten Emittenten am Pfandbriefmarkt und ihr Ausfall hätte dem Markt, der jetzt schon nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert, den Rest gegeben. Der Pfandbrief ist aber ein Eckstein unseres Finanzsystems. Jetzt wünscht man sich, daß er nicht so weit dereguliert worden wäre. Der vdp hatte ja sogar ins Gespräch gebracht, die Beleihungsgrenze für Deckungskredite auf 80 Prozent anzuheben. Wenn der Pulverdampf sich verzogen hat, dann wird man mit präventiver Regulierung die systemischen Risiken einhegen müssen. Ich denke da an die Wiedereinführung des Spezialbankprinzips und an Begrenzungen für das Außerdeckungsgeschäft.
29.9.2008: Ich habe heute Abend die Presseerklärung von Finanzminister Henry Paulson nach dem Scheitern des Rettungspaketes im Kongreß live auf CNN erlebt. Dramatische Momente. Der Finanzminister wirkte übernächtigt, zerfahren und gehetzt. Die Regierung will am Ball bleiben und weiter versuchen, das Gesetz in modifizierter Form durch das Repräsentantenhaus zu bekommen. Ein republikanischer Abgeordneter wurde wie folgt zitiert: “Wenn es um Brot oder Freiheit geht, stimme ich für die Freiheit.”
29.9.2008: The end of all hopes!
Nun ist der Super-GAU eingetreten: Ich las gerade im FAZ.NET, daß das Repräsentantenhaus den Rettungsplan zum Ankauf der faulen Vermögenswerte der Banken abgelehnt hat. Dieser Plan war aber trotz gewisser Schwächen der letzte Anker im Orkan. Die Märkte hatten sein Zustandekommen bereits als Gegebenheit vorausgesetzt.
Was jetzt kommt, daran werden wir uns noch lange erinnern. Diese Schreckensnachricht trifft auf ein vollkommen verunsichertes Umfeld. Der Interbanken-Geldmarkt zusammengebrochen, Abzüge aus Geldmarktfonds, Bank runs bei Washington Mutual und Bradford & Bingley, immer neue Pleiten von Großbanken, dramatische Rettungsaktionen, das Vertrauen war doch schon völlig am Boden.
Der heutige Tag könnte als schwarzer Montag in die Geschichte eingehen
19.9.2008: Fundstücke:
“Was wir in den vergangenen Tagen gesehen haben, ist nichts weniger als das endgültige Urteil über eine Wirtschaftsphilosophie, die total versagt hat.” Barack Obama (Quelle: F.A.Z. v. 19.9.2008, Nr. 220, S. 3)
“Natürlich würden wie der Krise gerne ein Ende bereiten. Aber wie?” Die Fed am 18.9.2008 (Quelle: F.A.Z. v. 19.9.2008, Nr. 220, S. 13)
16.9.2008: Fundstücke:
"Das Finanzsystem ist so schwer erschüttert wie nie, das Vertrauen der Marktteilnehmer untereinander geht gegen null, und niemand weiß, wie es weitergeht.” Aktienhändler, der nicht genannt werden will.
“Allerdings hat die EZB erst vor wenigen Wochen ihren Leitzins auf 4,25 Prozent angehoben. Die Rendite für Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit, die daraufhin Ende Juli auf 4,70 Prozent geklettert war, ist indes am Montag unter 4 Prozent gefallen.”
Quelle: F.A.Z. v. 16.9.2008, Nr. 217, S. 21
15.9.2008: Eine ganze Serie von schlechten Nachrichten aus dem Umfeld der Hypotheken- und Finanzmarktkrise hat heute die Börsennotierungen von Finanzwerten weltweit auf Talfahrt geschickt. Es handelt sich um die Fälle Lehman, AIG und Washington Mutual. Unter den Investmentbanken war Lehman Brothers besonders stark im Geschäft mit Hypothekenverbriefungen engagiert. Hier war eine ähnlich kritische Situation wie im März bei Bear Stearns entstanden. Es war offensichtlich kein stärkerer Finanzpartner zu finden, der bereit gewesen wäre, sich ohne staatliche Garantien an dem Investmenthaus zu beteiligen. Am vergangenen Wochenende wurde dann unter großem Zeitdruck über das weitere Schicksal von Lehman Brothers verhandelt. Die Moderation der Verhandlungen hatte das US-Finanzministerium übernommen. Man suchte gemeinsam nach einer Lösung mit möglichst geringen Folgen für die weltweiten Finanzmärkte. Zur Überraschung mancher Beobachter lehnte Finanzminister Henry Paulson trotz der Präzedenzfälle Bear Stearns und Fannie / Freddie diesmal staatliche Hilfen zur Rettung der angeschlagenen Investmentbank kategorisch ab. Lehman Brothers blieb nichts anderes übrig als Gläubigerschutz zu beantragen. Am heutigen Montag sind daraufhin rund um den Globus die Finanzwerte an den Börsen eingebrochen – das angekündigte „Blutbad“ wurde vollzogen. Die harte Haltung von Finanzminister Paulson war wohl ordnungspolitisch motiviert. Es ging einfach nicht so weiter, daß man eine angeschlagene Bank nach der anderen auf kaltem Wege verstaatlicht. Der Weg in den staatlichen Monopolkapitalismus schien vorgezeichnet. Mitten in der Krise sollte ein Signal gesetzt werden: Auch große Banken können pleite gehen. Die Finanzbranche muß sich nun selbst mit ihren Fehlern und Exzessen auseinandersetzen. Die Marktteilnehmer werden jetzt hoffentlich die richtigen Lehren aus der Krise ziehen und in Zukunft nur solche Geschäfte machen, „bei denen wir nachts auch ruhig schlafen kann“. Die weitere Entwicklung wird allerdings noch holprig werden. Die Banken scheinen nun mehr Verantwortung für das Krisenmanagement wahrzunehmen. Die Begründung eines Feuerwehrfonds im Umfang von 70 Milliarden Dollar durch 10 Großbanken weist in die richtige Richtung. Ich bin sicher, daß die Geschäftspartner von Lehman alles tun werden, um eine geordnete Abwicklung der Bank zu gewährleisten. Hier fügt es sich gut ein, daß mit der Übernahme von Merrill Lynch durch die Bank of America ein weiterer Risikopatient aus dem Spiel genommen wurde. Das Krisenmanagement der US-Regierung und der Fed erscheint nun in einem anderen Licht. Die Rettungsaktionen für Bear Stearns und Fannie / Freddie waren wohl unvermeidlich, da too interconnected bzw. too big to fail. Mit der harten Haltung im Fall Lehman wollte man diese Scharten wohl wieder auswetzen. Es ist aber nicht recht plausibel, warum man in zwei ähnlich gelagerten Fällen (Bear Stearns und Lehman Brothers) unterschiedliche Konsequenzen gezogen hat. Für eine allgemeine Entwarnung ist es jedenfalls noch viel zu früh. Zuerst müssen sich die Eigenheimpreise und die Ausfallquoten in den USA stabilisieren. Außerdem muß erst noch die Luft aus einigen anderen Kreditblasen entweichen, z.B. bei gewerblichen Immobilienfinanzierungen und Kreditkartenforderungen. Einen Risikofaktor eigener Art stellt der Versicherungskoloß American International Group (AIG) dar. Die Insolvenzgefahr für diesen Versicherer ist aber nicht aus dem klassischen Versicherungsgeschäft entstanden, sondern aus dem kapitalmarktorientierten Anleiheversicherungsgeschäft. Insofern weist die Entwicklung bei AIG deutliche Parallelen mit der Entwicklung bei den Anleiheversicherern auf. Versicherungsunternehmen, die sich vorwiegend auf klassischen Geschäftsfeldern (Kraftfahrtversicherung, Schaden- und Unfallversicherung) bewegen, sind von solchen Entwicklungen nicht betroffen.
8.9.2008: Nach den Rettungsaktionen für die Investmentbank Bear Stearns, dem Bürgschaftspaket für bedrängte Hypothekenschuldner sind nun die beiden Verbriefungsagenturen Fannie Mae und Freddie Mac (siehe auch den Eintrag v. 14.7.2008) vorübergehend verstaatlicht worden, um die Krise noch einmal in den Griff bekommen. Die Fachleute des Finanzministeriums waren zu der Einschätzung gelangt, daß Fannie und Freddie als privat finanzierte Aktiengesellschaften wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig waren. Angesichts der Größe ihrer Engagements – sie verbriefen 60 Prozent der neu vergebenen Eigenheimkredite in den USA – hätte schon eine akute Insolvenzgefahr der beiden Gesellschaften unabsehbare Folgen für die Finanzmärkte und die Weltwirtschaft gehabt. Die US-Regierung hatte also anders als die deutsche im Falle der IKB tatsächlich keinen Handlungsspielraum mehr. Die Verstaatlichung von Fannie und Freddie war die Kulmination einer langen Kette von scheinbar harmlosen und indirekten staatlichen Eingriffen in die Immobilien- und Finanzmärkte. Die Wirtschaftsordnung der USA hat dabei eine grundlegende Transformation erfahren. Das ist nicht mehr die reine Lehre der Marktwirtschaft, sondern eine instabile Risikowirtschaft mit umfassendem staatlichen Pannenservice. Auf lange Sicht sind mit den interventionistischen Exzessen die wirtschaftspolitischen Weichen in die falsche Richtung gestellt worden. Man darf den Marktteilnehmern nicht die Chance zum Lernen aus ihren Fehlern nehmen. Es wäre fatal, wenn sich der Eindruck verfestigen würde, daß Banken unsinkbar wären, nur weil sie groß sind oder bestimmte staatliche Privilegien genießen. Wirtschaftlich unverantwortliches Verhalten und moralische Verfehlungen müssen sanktioniert werden, sonst treiben es die Marktteilnehmer immer toller. Wir können der aktuellen Finanzmarktkrise nur gerecht werden, wenn wir sie als eine große Chance zum Umdenken und Lernen begreifen.
30.7.2008: Ein Jahr Finanzkrise. Benedikt Fehr hat den Zeitpunkt des Bekenntnisses der IKB, daß die Bank ein paar Milliarden in faulen forderungsbesicherten Wertpapieren versenkt habe, als Ausgangspunkt für seine Terminierung genommen (F.A.Z. v. 30.7., S. Nr. 176, S. 9). Sein Leitartikel beinhaltet eine fundamentale Einsicht:
“Eine Lehre aus der Krise muss deshalb sein, dass es für die Banken nicht damit getan ist, dem Buchstaben des Gesetzes zu folgen - gleichzeitig aber jeden Spielraum auszunutzen, die Regeln zu umgehen. Vielmehr muß künftig wieder der Geist der Regeln das Handeln leiten.”
Was Fehr hier von den Bankmanagern fordert, ist nicht mehr und nicht weniger als eine moralische 180 Grad-Wende. Kein moralisches Grenzverhalten, keine “Aufsichtsarbitrage” mehr, die Gesetze nicht nur dem Buchstaben, sondern dem Geiste nach befolgen - welch ein hoher Anspruch! Ist Fehr ein naiver Idealist? Wieviel Prozent der Bevölkerung werden diesem Anspruch beispielsweise beim Ausfüllen ihrer Steuererklärung gerecht? Können Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden den Verantwortlichen in der Finanzindustrie vertrauen? Haben die was dazugelernt? Ich bin da skeptisch. Der eine oder andere Manager mag jetzt Asche auf sein Haupt streuen. Aber irgendwann übernimmt die Gier wieder das Kommando. Die Chance, aus dieser Krise etwas zu lernen, ist wohl schon vertan. Die USA haben sich mit den ordnungspolitisch mehr als fragwürdigen Rettungsaktionen für Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac und dem Bürgschaftspaket für bedrängte Hypothekenschuldner im Umfang von 300 Milliarden Euro nur etwas Zeit gekauft. Es ist möglich, daß sie die Krise mit solchen Mitteln noch einmal in den Griff bekommen - aber um welchen Preis? Wenn den Marktteilnehmern die Chance zum Lernen genommen wird, dann könnte die nächste Krise uns alle verschlingen.
29.7.2008: Die Hypotheken- und Finanzmarktkrise hat Europa erreicht. Die Märkte in Großbritannien, Irland und Spanien zeigen deutliche Schwächezeichen. Der Spiegel hat diese Entwicklungen in seiner jüngsten Nummer unter dem flapsigen Titel “Malle für alle” aufgegriffen (Nr. 31/2008, S. 74 f.). Spanien ist ein besonderer Fall (siehe auch mein für das Augustheft der WM vorgesehenen Beitrag “Spanische Immobilienkrise”). Das Land hat einen beispiellosen Boom am Häusermarkt erlebt, der jetzt in seine Korrekturphase eingetreten ist. Es war allerdings kein Hype wie die Subprime-Krise in den USA. Der Aufschwung in Spanien war fundamental besser begründet und bei der Schuldnerbonität haben die Banken viel seltener als in den USA beide Augen zugedrückt. In den letzten Jahren des Booms ist es dann aber doch zu spekulativen Übertreibungen gekommen. Auch in Spanien können sich die Banken auf hohe Ausfallquoten bei ihren Hypothekenschuldnern gefaßt machen. Und wer hat im Hintergrund die Refinanzierung der Kredite übernommen? Man ahnt es schon - es waren mal wieder deutsche Landesbanken im Spiel, diesmal die WestLB und die BayernLB. Zwei Institute also, die sich auch mit Investements in faule U.S.-Hypotheken die Finger verbrannt haben. Auch in Spanien sind sie erst eingestiegen, als die Spatzen es schon von den Dächern pfiffen, daß der Markt heißgelaufen sei. Ich zitiere aus einer Analyse von BNPParibas-Volkswirten aus dem März 2006:
“Our analysis suggests house prices were overvalued by around 30 per cent in 2005, which is close to the Bank of Spain’s estimate for 2004.”
Man bekommt allmählich den Eindruck, daß diese Institute den schlechten Risiken, die sonst keiner mehr in Büchern haben wollte, regelrecht hinterhergelaufen sind. Auch nach dem Wegfall der Gewährträgerhaftung sind einige Landesbanken auf der Suche nach einem tragfähigen Geschäftsmodell unverantwortliche Risiken zu Lasten der Steuerzahler eingegangen. Ein weiteres Trauerspiel aus der Reihe Coporate Governance im öffentlichen Sektor. Casino provincial ist nicht nur in Sachsen.
14.7.2008: Angesichts der krisenhaften Entwicklung der beiden staatsnahen Refinanzierungsagenturen Fannie Mae und Freddie Mac zitiere ich aus meinem in der WM 4/2008 erschienenen Beitrag zum Thema: “Bei Fannie und Freddie hat sich ein Risiko für das gesamte Finanzsystem zusammengeballt. Durch die Konzentration der Aktivitäten ist eine Situation entstanden, wo die Stabilität des gesamten Weltfinanzsystems von ihrer Krisenfestigkeit abhängt. ... Eine Privatisierung der beiden Finanzmarktkolosse müßte daher auf eine Zerschlagung hinauslaufen. Ob dafür politische Mehrheiten organisiert werden können, darf aber bezweifelt werden, denn alles, was den Häuslebauern zu helfen scheint, gilt per se als gut. Wahrscheinlich müssen die verantwortlichen Politiker ihre Lektion auf die schmerzhafte Art lernen. Fannie und Freddie gleichen zwei Vulkanen, von denen man nur weiß, daß sie ausbrechen werden, aber nicht wann.”
Ist es nun so weit? Was steht auf dem Spiel? Bei der Finanzierung von Eigenheimen kommen Fannie und Freddie auf einen Marktanteil von 60 Prozent. Die beiden Organisationen halten heute Hypotheken im Wert von 1,4 Billionen Dollar (entspricht 1.400 Milliarden, einer Zahl mit 13 Stellen vor dem Komma). Weitere 2,9 Billionen Dollar an Hypotheken haben sie in der Form von Mortgage backed securities gebündelt und an dritte Investoren verkauft (zum Vergleich: Das Volumen des Bundeshaushaltes der USA liegt unter 3 Billionen Dollar). Im FAZ.NET hieß es am 13.7. zur Bedeutung von Fannie und Freddie für den Immobilien- und Hypothekenmarkt: “Im Falle einer Pleite würde ein völliger Kollaps des amerikanischen Immobilienmarktes drohen, weil die beiden Firmen den Markt für Hypotheken nach dem Rückzug vieler Banken derzeit fast allein am Laufen halten.”
Deutsche Anleger haben erleichtert auf die Hilfs-Ankündigung für Fannie und Freddie reagiert: Der Deutsche Aktienindex DAX legte kurz nach der Handelseröffnung um 0,9 Prozent auf 6.207 Punkte zu. Wir haben mal wieder in den Abgrund gesehen.
13.7.2008: “So muss die Lehre für künftige Zeiten heißen: Niemand soll ein finanzielles Risiko eingehen dürfen, der nicht bereit ist, dafür auch mit eigenem Geld zu haften.” Rainer Hank in der F.A.S. v. 13.7.2008
1.7.2008: “An diesem Punkt angelangt, denken die meisten Bürger zum ersten Mal über den tieferen Sinn von zwei Worten nach, die heute fester Bestandteil jeder Sonntagsrede sind - die aber kaum jemand ernst nimmt im Land: Flexibilität und Mobilität. Ersteres bedeutet im Zusammenhang mit Vermögen, dass man das, was man hat, jederzeit den sich rasch verändernden Anforderungen anpassen kann. Festgelegtes Geld gehört eher nicht dazu. Mobilität wiederum ist die Konsequenz aus einer rasanten Entwicklung: Die Illusion der Seßhaftigkeit, das Volksmärchen vom eigenen, vermeintlich goldwerten Herd, bricht im 21. Jahrhundert zusammen. Von diesem Moment an wird Mobilität zur neuen Sicherheit - und bedroht die alte, also das klassische, unbewegliche Vermögen und, noch wichtiger, die ganze damit verbundene Kultur des gesicherten Wohlstands. Quelle: Wollf Lotter im Schwerpunkt “Eigentum”, S. 48, in: brand eins 7/2008
Wollf Lotter sieht Wohneigentum und Mobilität gleichsam als unüberwindliche Gegensätze an. Das ist mindestens übertrieben. Der Liquiditätsgrad eines Eigenheims hängt von mehreren Bestimmungsgründen ab, unter anderem von der Höhe der Transaktionskosten und von der Flexibilität der Finanzierungsinstrumente. Es paßt überhaupt nicht zu Lotters These, daß Länder mit einer größeren Umzugshäufigkeit als Deutschland eine viel höhere Wohneigentumsquote aufweisen. Ich denke da an die USA mit ihrer mobilitätsorientierten Kultur des “Move on” - ein schlagendes Gegenbeispiel. Außerdem können auch Mietwohnungen mobilitätshemmend sein - etwa im Falle von Mietbegrenzungen, die einseitig die Bestandsmieter begünstigen.
30.6.2008: “Ich hoffe, daß sie die alten, verfallenen Häuser nicht abreißen. Es könnte hier eine richtige Filmstadt entstehen.” Tom Schilling, Hitler-Darsteller der in Zittau gedrehten Verfilmung von George Taboris Theaterstück “Mein Kampf” über eine mögliche Entwicklungsperspektive der Zittauer historischen Innenstadt, Quelle: Der Spiegel Nr. 27 v. 30.6.2008
11.6.2008: “Die SPD kann nur mehrheitsfähig sein, wenn sie in der Mitte der Gesellschaft verankert ist und diese nicht verläßt.” Gerhard Schröder am 13.3.2008
8.6.2008: Zitate:
Nichts ist schrecklicher als ein Lehrer, der nicht mehr weiß als das, was die Schüler wissen sollen. Johann Wolfgang von Goethe
Sobald man in einer Sache Meister geworden ist, soll man in einer neuen Schüler werden. Gerhart Hauptmann
24.4.2008: “Es ist die Frage, ob durch die Atomisierung der Kredite eine größere Instabilität entstanden ist. Wenn Sie Millionen von privaten und institutionellen Investoren haben, die jederzeit bereit sind zu verkaufen, erhöhen sich eigentlich die Instabilität und das prozyklische Verhalten.” Quelle: Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank am 23.4.2008 während eines Kolloquiums des Frankfurter Forschungsinstituts Center for Financial Studies zur Praxis der Verbriefung von Kreditbeziehungen, zitiert nach F.A.Z. v. 24.4.2008, Nr. 96 / S. 21.
Josef Ackermann scheint ein Mensch zu sein, der in der Lage ist, aus Fehlern zu lernen, weil er sein eigenes Verhalten kritisch reflektiert. Das ist unter Führungskräften nicht immer selbstverständlich.
23.4.2008: Was ist ein fairer Preis? Jedenfalls ist es nicht der markträumende Preis. Also kann es sich nur um einen Höchst- oder Mindestpreis handeln. Es muß ein Fall von Marktversagen vorliegen, damit die Forderung nach “fairen” Preisen Sinn hat, also z.B. Kartellabsprachen oder vermachtete Märkte. Es ist möglich, daß eine derartige Situation zwischen den Lebensmitteldiscountern und den Milchbauern vorliegt. Aber selbst in solchen Fällen wird ein Ökonom vor direkten Eingriffen in die Preisbildung zurückschrecken. Das ist in der Regel nicht das wirtschaftspolitische Mittel mit den geringsten Reibungsverlusten.
22.4.2008: Fundstücke
Paul Volcker, ehemaliger US-Notenbankgouverneur: “Das neue Finanzsystem mit all seinen schlauen und begabten Akteuren hat den Test eines Marktplatzes nicht bestanden.” Quelle: F.A.Z. v. 22.4.2008, Nr. 94, S. 12
Die Diskussion über die Ereignisse in jüngster Zeit hat den Blick auf unsere Leistungen verstellt. So können Sie sich bei der WestLB zum Bespiel auf eine Bank verlassen, die allein 2007 29 Auszeichnungen für strukturierte Finanzierungen erhalten hat. Quelle: Anzeige der WestLB in der F.A.Z. von heute
Entgegen anderen Investoren im Markt, die in ihren Businessplänen teils viel zu ambitionierte Ziele bei kurzfristigen Mieterprivatisierungsquoten und Mietpreissteigerungen verfolgten, setzen langfristig erfolgreiche Unternehmen auf nachhaltige Wertschöpfung über die Qualität der Bestände und die Zufriedenheit der Kunden. ... Private Wohnungsunternehmen unterliegen den gleichen Marktgesetzen wie jede andere Branche. Wer langfristig erfolgreich sein will, muß sich an den Renditeerwartungen des Marktes messen lassen. Kapitalmarktfähigkeit muß daher das wichtigste Unternehmensziel sein. Quelle: Michael Zahn, Sprecher des Vorstandes der Deutsche Wohnen AG: Wohnungen an der Börse - eine besondere Assetklasse, in: Immobilien & Finanzierung, Nr. 8 (2008), S. 293.
19.4.2008: In ihrer heutigen Ausgabe berichtet die F.A.Z. (Nr. 92, S. 23), daß die Investmentbank Bear Stearns zum Bilanzstichtag 30. November 2007 Derivate-Engagements im Gesamtvolumen von 13,4 Billionen Dollar ausgewiesen hatte.
13.400.000.000.000 Dollar,
das entspricht etwa dem 30-fachen des Bundeshaushaltes für 2008.
18.4.2008: Gibt es erstrebenswerte Alternativen zum Kapitalismus? Der Chicagoer Ökonom Frank H. Knight hat in seinem Essay “Ethics of Competition” von 1923 jenseits aller Dogmen eine Antwort auf diese Frage versucht. Es ist eine Frage, auf die jeder für sich eine Antwort finden muß. Meine findet Ihr in dem Essay Frank H. Knight und Herbert Marcuse. Hier noch ein paar Auszüge aus dem Essay von Knight:
“Capitalism does not produce what people want but merely creates the wants for what it produces. ... the freest individual ... is in large measure a product of the economic environment that has formed his desires and needs, given him whatever marketable productive capacities he has, and which largely controls his opportunities. ... the income does not go to “factors” but to their owners ... and ownership of personal or material productive capacity is based upon a complex mixture of inheritance, luck and effort, probably in that order of relative importance.”
16.4.2008: Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag, Fritz Hähle, wird heute in der F.A.Z. (Nr. 89, S. 4) wie folgt zitiert:
Für die von der Linksfraktion beantragte aktuelle Debatte zum Thema “Die Landesbank, der Ministerpräsident und die Steuerzahler” hat Hähle dagegen nur Spott übrig. Die PDS, ..., könne jetzt ja nur noch die Steuerzahler zum Rücktritt auffordern. “Beim Ministerpräsident ist das zu spät.”
In der Tat, alle Verantwortlichen sind nun aus der Schußlinie genommen worden. Herr Hähle wollte offenbar den Steuerzahler auf eine etwas ironische Weise daran erinnern, daß er am Ende die Zeche zahlt.
14.4.2008: Gedankensplitter
Was bedeutet es unter den Bedingungen einer entfesselten Marktwirtschaft, konservativ zu sein?
Wer SPD-Mitglied ist, sollte täglich die Frankfurter Allgemeine Zeitung lesen.
13.4.2008: Zum Sinn und Zweck von Prüfungen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß ein Student, der nicht wenigstens einmal etwas aus seinem Fachgebiet gelesen hat, von dem er absolut sicher sein konnte, daß es nirgendwo geprüft würde, gar nicht im eigentlichen Sinne „studiert“ hat. Es ist entwürdigend, sich über Jahre hinweg Wissen nur darum einzutrichtern, weil es geprüft wird. Dagegen muß ein Mensch doch rebellieren. Die Orientierung auf Prüfungen verengt das Lernen auf die Spekulation darauf, was jeweils „prüfungsrelevant“ sein könnte. Geisttötende Nutzenmaximierung gemäß des ökonomischen Prinzips – das genaue Gegenteil von Bildung. Und diese Tendenzen werden durch den sogenannten „Bologna-Prozeß“ eindeutig verstärkt. Anlesen, abliefern und vergessen lautet hier die Devise. Der Mensch bildet sich aber doch sein Leben lang. Ein Student muß seinen eigenen Weg durch sein Studienfach finden. Er muß das zu Lernende stets in Frage stellen und seine eigene Position gegenüber der herrschenden Orthodoxie bestimmen. Die Studieninhalte und -strukturen müssen darauf allerdings eingerichtet sein. Mein Fazit: Wer sich für ein Gebiet wirklich fanatisch interessiert, der sollte etwas ganz anderes studieren. Wer aber sein Herzensfach studiert, der muß gegen den Strom schwimmen. Am Anfang der Bildung steht die Erkenntnis, was Bildung überhaupt bedeutet. Meine Definition lautet: Erweiterung der eigenen Fähigkeiten, seine Umwelt zu verstehen. Wahre Bildung kann sich auch heute nicht in engem Spezialistentum erschöpfen.
12.4.2008: Unter der Überschrift „Milliardenhilfe für Amerikas Hausbesitzer“ berichtet die F.A.Z. von heute (Nr. 86, S. 10), daß der Senat mit großer Mehrheit einem Gesetzentwurf zur Überwindung der Krise am amerikanischen Häuser- und Hypothekenmarkt zugestimmt hat. Was steht drin? Es soll mehr Geld für die Beratung von Hausbesitzern ausgegeben werden, die von einer Zwangsversteigerung bedroht sind. Das kann nicht schaden. Weiterhin soll denjenigen, die ein Eigenheim in einer Zwangsversteigerung ersteigert haben, eine Steuergutschrift in Höhe von 7000 Dollar gewährt werden. Schließlich soll Bauunternehmen, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken, die Verrechnung von Verlusten mit den Gewinnen früherer Jahre gestatt werden. Die Steuerleichterungen führen in den nächsten drei Jahren zu Einnahmeausfällen in Höhe von 25 Milliarden Dollar. Auf den ersten Blick erscheint es sehr clever, die Eigenheimpreise zu stützen, indem man indirekt die Zahlungsbereitschaft der Käufer bei Zwangsversteigerungen subventioniert. Dadurch vermeidet man Zwangsversteigerungen und bewirkt, daß bei den Terminen höhere Preise erzielt werden. Das hilft in erster Linie den Kreditgebern. Ein schönes Beispiel für elegante Prozeßpolitik, die auf der Grundlage ökonomischer Wirkungsketten indirekt das Marktgeschehen zu beeinflussen versucht. Das ordnungspolitische Urteil? Vernichtend. Jetzt werden offensichtlich nicht mehr allein die guten Zwecke (die Ökonomen sprechen von Externalitäten, öffentlichen und meritorischen Gütern) zum Anlaß für Subventionen genommen. Es reicht, wenn man Spekulationsverluste erlitten hat. Das Kind hat sein Taschengeld beim Murmelspielen verloren. Die Eltern ersetzen den Schaden und ermahnen das Kind, beim nächsten Mal vorsichtiger zu sein. Am Ende steht die Zockerkarriere. Für die Bauwirtschaft gibt es rückwirkende Verlustverrechnungsmöglichkeiten. Das ist atemberaubend. Hat eine Branche Probleme, hilft der Staat mit maßgeschneiderten Bilanzierungsvorschriften. Wozu braucht man überhaupt noch Regeln, wenn man sie ohne weiteres zur Disposition stellt, sobald sie unangenehm werden? So sieht Politik ohne ordnungspolitischen Bezugsrahmen in praxi aus. Aus Gründen der politischen Transparenz sollte die Regierung den Banken und Bauunternehmen das Geld einfach überweisen.
11.4.2008: “Wir gehen mit dieser Welt um, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum.” Jane Fonda
9.4.2008: Heute hat die Görlitzer Sozialkonferenz stattgefunden – eine gemeinsame Veranstaltung der Stadt Görlitz und der Hochschule. Auf Seiten der Hochschule hat Prof. Joachim Schulze vom Fachbereich Sozialwesen die Hauptlast der Vorbereitung getragen. Zweck der Übung war eine Bestandsaufnahme der sozialen Lage unter den Bedingungen des demographischen Wandels. Was habe ich dort neues erfahren? Die Zahl der 15-65-jährigen, also derjenigen im erwerbsfähigen Alter, wird in der Stadt Görlitz bis 2020 um mindestens 16 Prozent zurückgehen. Allein schon wegen der anhaltenden Schrumpfung des Arbeitskräftepotentials dürfen wie daher beim Wirtschaftswachstum keine Wunder erwarten. Bemerkenswert ist außerdem die Einkommensentwicklung in Görlitz. Auf der einen Seite gibt es 11.500 „ALG II-Kunden“ (darunter viele Aufstocker), auf der anderen Seite weist die Stadt im sächsischen Vergleich hohe und steigende Pro-Kopf-Einkommen aus. Es gibt in Görlitz also eine Einkommenselite mit durchaus konkurrenzfähigen Bezügen. Der Wirtschaftsförderer von der Europastadt GmbH machte einen dynamischen Eindruck. Es scheint, daß die größeren Städte im neuen Landkreis Görlitz sich auf diesem Gebiet durchaus zu helfen wissen. Man wird in Zukunft Wirtschaftsförderung verstärkt auch auf der Kreisebene betreiben müssen, damit die kleineren Gemeinden auf diesem Gebiet nicht ins Hintertreffen geraten. Außerdem hat nicht jede Ansiedlung einen gleichwertigen Beschäftigungseffekt für die Region. Hier kommt es auf die Exportquote an. Dem Referat von Bürgermeister Holthaus war zu entnehmen, daß die Verbesserung der Wanderungsbilanz der Stadt Görlitz jedenfalls nicht auf eine verstärkte Netto-Zuwanderung von Langzeitarbeitslosen zurückzuführen ist. Die Stadt hat generell ihre Attraktivität für Zuwanderer steigern können. Ein weiteres Vorurteil konnte Bürgermeister Holthaus entkräften. Die soziale Segregation ist in Görlitz weniger ein Problem als die altersmäßige. Während die inneren Stadtteile relativ „jung“ sind, steigt das Durchschnittsalter in den äußeren Stadtteilen (Platte) ständig an. Es gibt also Ansätze zu „Generationen-Ghettos“. Das Problem: Wer keine Erfahrungen im Zusammenleben mit anderen Generationen sammelt, versteht deren Probleme und Sichtweisen auch nicht. Der gesellschaftliche Kitt löst sich auf und es wird schwerer, Kompromisse zu finden. Die letzte These von Holthaus war besonders provokant: Die demographische Entwicklung würde zumindest stellenweise die soziale Lage verbessern. Sein Beispiel: Die Abwanderungen der 90er Jahre hätten den Arbeitsmarkt entlastet. Die Überlegung lautet hier, daß wir noch viel mehr Arbeitslose hätten, wenn all die jungen und dynamischen Kräfte bei uns geblieben wären. Das ist aber statisches Denken. Die wären heute nicht alle arbeitslos. Sie hätten in den Unternehmen der Region Produktion und Gewinn gesteigert und einige hätten sich auch selbständig gemacht. Die These von Holthaus könnte zu falschen wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen führen. Wir können nicht alle halten, aber wir müssen so viele wie möglich halten und vor allem die besten Köpfe. Der von Prof. Laser geleitete workshop zum Görlitzer Arbeitsmarkt litt stellenweise unter der Überlänge der Beiträge aus dem Teilnehmerkreis. Die wichtigsten Probleme der Arbeitsmarktentwicklung wurden aber angesprochen. Wirklich bedrohlich für die Zukunft erscheint mir, daß in Görlitz nur vergleichsweise wenige junge Menschen einen höheren Schulabschluß erreichen. Das ist auf lange Sicht das größte Wachstumshemmnis. Wenige Abiturienten bedeuten wenig Hochschulabsolventen und das bedeutet wiederum wenige Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung. Die Gründe für den geringen Abiturientenanteil dürften in der Bildungs- und in der Sozialpolitik zu suchen sein. In Görlitz leben 44 Prozent der Kinder vom Sozialgeld (also vom ALG II) und die Regelsätze sind bekanntlich so kalkuliert, daß jedes Bildungserlebnis gleichsam vom Essen abgespart werden muß. Die Regelsätze für die Kinder haben überhaupt keine empirische Grundlage. Der soziale Ausschluß breiter Schichten der Bevölkerung ist hier vorprogrammiert. Man muß da nur noch ein gegliedertes Schulsystem mit einer möglichst frühzeitigen Selektion (wie in Sachsen) draufsetzen und schon hat man ein breites und verfestigtes Milieu von Bildungsabgekoppelten geschaffen. Mein Fazit: In einer Stadt wie Görlitz reicht es nicht aus, allein gute Wirtschaftspolitik zu machen. Der Beschäftigungsaufbau der letzten Zeit geht an den Langzeitarbeitslosen vorbei. Ansiedlungserfolge und Beschäftigungsaufbau in den bestehenden Betrieben sind aber doch die wirtschaftliche Grundlage der Sozialpolitik. Die Stadt Görlitz könnte sich zu einem Wachstumspol im neuen Landkreis Görlitz entwickeln. Sie ist auf dem richtigen Weg. Sie muß nur noch spannender, urbaner und abwechslungsreicher werden.
7.4.2008: In den USA enthalten Kreditverträge für die Finanzierung von Eigenheimen üblicherweise einige scheinbar besonders kundenfreundliche Bestimmungen. In der Regel dient der finanzierenden Bank das Eigenheim als einzige Sicherheit. Es kann also nicht in das sonstige Vermögen oder das Einkommen des Schuldners vollstreckt werden. Ein Schuldner hat in den meisten Fällen das Recht, der Bank die Immobilie zu überlassen und damit ist er von allen Verpflichtungen frei. Wenn also bei der Zwangsversteigerung weniger als die Restschuld erlöst wird, dann haftet nicht etwa der Schuldner für die Differenz, sondern die Bank trägt den Verlust. Oder wer immer am Sekundärmarkt Anleihen erworben hat, die mit solchen Krediten gedeckt sind. Ob solche lästigen Details den Wholesale Bankern aus Dresden, Düsseldorf und München bekannt waren? Warum das von Bedeutung ist? Weil solche Vertragsgestaltungen einen Anreiz setzen, bei fallenden Immobilienpreisen, das Eigenheim aufzugeben. Man schickt der Bank eine “jingle mail” und hängt ein Schild mit der Aufschrift “Abandoned” an die Türklinke. Dieses individuell durchaus vernünftige Verhalten wirkt bei sinkenden Immobilienpreisen wie ein Brandbeschleuniger.
5.4.2008: Aus einem Interview mit Remo H. Largo, einem Spezialisten für kindliche Entwicklung (F.A.Z. v. 5.4.2008, Nr. 80, Beilage Bilder und Zeiten, S. Z6):
Frage: Was halten Sie von den Schulempfehlungen in der vierten Klasse? Kommt die Entscheidung für die Kinder womöglich zu früh?
Largo: Sie ist zumindest problematisch. Die Pisa-Ergebnisse zeigen ja, daß es zwischen den drei Schultypen Überschneidungen gibt. Das Spektrum der Viertklässler bei der Schrift reicht von solchen, die fehlerfrei schreiben, bis zu solchen, die kaum einen Satz bilden können. Kompliziert wird es, weil es bei manchen Kindern, die gut in Mathe sind, an der sprachlichen Kompetenz hapert und umgekehrt. Das setzt sich an den weiterführenden Schulen fort: An Gymnasien gibt es Schüler, die so schwach sind wie Realschüler. Und es gibt Hauptschüler, die so gut sind wie Gymnasiasten: weil auch diese Gruppen nicht homogen sind. Um Kinder optimal zu fördern, müßten deshalb manche Hauptschüler die Möglichkeit haben, ihre sprachlichen Fähigkeiten auf demselben Niveau zu verfolgen wie Gymnasiasten. Es ist unmöglich, homogene Gruppen zu erhalten, wenn man die Schüler aufteilt.
29.3.2008: “Infolge der starken Spreadeinengungen und der hohen Liquidität wurden Investitionen an den Kapitalmärkten verstärkt in sichere Anlageformen gelenkt. Hiervon profitierte das von der SLBE gemanagte Asset Backed Commercial Paper Conduit Ormond Quay, das volumens- und investorenseitig in Europa und in den USA weiterhin kräftige Zuwächse verzeichnen konnte. Die internationalen Prämierungen dieses Vehikels und dessen volumenseitige Etablierung unter den globalen Top 10 belegt die Wahrnehmung und Wertschätzung der Managementqualität der SLBE. Dies führte dazu, dass 2006 weitere institutionelle Investoren als Kunden gewonnen werden konnten. Um diese Expertise auch für die sächsischen Sparkassen nutzbar zu machen, wurde im Rahmen der Verbundbank-Strategie ein Produkt ähnlicher Art exklusiv für diesen Kundenkreis aufgesetzt, welches erfolgreich platziert werden konnte.”
Quelle: Geschäftsbericht 2006 der Sachsen LB
Diese Passage aus dem Geschäftsbericht braucht man eigentlich nicht zu kommentieren. Obendrein schreiben die Autoren ein erbärmliches Deutsch.
Nachstehend noch Auszüge aus einem Artikel der F.A.Z. vom 23.6.2005 (Nr. 143 / Seite 21), in dem bereits deutlich vor den Risiken am amerikanischen Häusermarkt gewarnt wurde – und dies von berufener Seite: von der staatsnahen Refinanzierungsagentur Fannie Mae und der Einlagensicherung:
Befürchtungen, auf dem amerikanischen Immobilienmarkt könne eine gefährliche spekulative Blase entstanden sein, haben neue Nahrung erhalten. In vielen Teilen des Landes gleiche die Lage jener, wie sie vor dem Zerplatzen früherer Preisblasen geherrscht habe, warnt die staatlich geförderte Immobilienfinanzierungsgesellschaft Fannie Mae. Die staatliche Einlagensicherungsgesellschaft FDIC beurteilt die Preisentwicklung ähnlich und prophezeit einen empfindlichen Dämpfer für die amerikanische Konjunktur, falls die Immobilienpreise tatsächlich einbrechen sollten. Fannie Mae verweist zur Begründung auf die gestiegene Zahl riskanter Hypothekendarlehen. In vielen Fällen verzichteten die Banken auf die Vorlage einer vollständigen Aufstellung der Vermögensverhältnisse ihrer Kunden oder gestatteten ihnen, über lange Zeit nur die Zinsen zu zahlen und den eigentlichen Kreditbetrag nicht zu tilgen. Besorgniserregend ist nach Ansicht von Fannie Mae auch das zunehmend höhere Beleihungsniveau. ... Damit ist die Gefahr gestiegen, daß im Falle eines Preiseinbruchs der tatsächliche Wert des Hauses deutlich unter den Restwert der Hypothek fällt. Die FDIC widerspricht der unter anderen vom amerikanischen Notenbankpräsidenten Alan Greenspan geäußerten Auffassung, wonach es zwar auf einigen lokalen Immobilienmärkten Übertreibungen gebe, von einer landesweiten Preisblase aber keine Rede sein könne. Die überhitzten Regionen seien für den Gesamtmarkt von so großer Bedeutung, daß der amerikanischen Wirtschaft im Fall eines Preissturzes ernste Gefahr drohe, sagt der Chefökonom der FDIC, Richard Brown. ... Ökonomen fürchten einen Preisrutsch nicht nur deshalb, weil dann die wichtige Bauwirtschaft einen Rückschlag erlitte. Mit einiger Wahrscheinlichkeit käme es auch zu einem sogenannten negativen Vermögenseffekt unter den Verbrauchern: Wenn diese den Wert ihrer Immobilien dahinschmelzen sähen und sich demnach ärmer fühlten, so könnten sie ihren Konsum einschränken und mehr Geld für spätere Zeiten zurücklegen.
Zur Erinnerung: Zu dieser Zeit hatte der Conduit Ormond Quai ein Portfolio von 5,0 Milliarden Euro, das bis Mitte 2007 auf 17,7 Milliarden Euro gestiegen ist, davon 61,4 Prozent RMBS und 21,6 Prozent CMBS. Stupid Saxon money wurde in einen heißgelaufenen Markt gepumpt.
29.3.2008: “Das Engagement der Bank auf Geschäftsfeldern außerhalb unseres Landes ist auch erforderlich, um eine ausgewogene Risikostruktur zu erreichen; denn jeder weiß, dass bei den finanziellen Rahmenbedingungen in Sachsen die Kreditvergabe in diesem Land mit besonders hohen Risiken verbunden ist, die Ausfallwahrscheinlichkeiten besonders hoch sind und eine Konzentration allein auf diesem Markt banktechnisch gesehen ein Klumpenrisiko darstellt. ... Eine Diversifizierung der Geschäftsfelder ist für eine Bank alternativlos. Dahinter steht immer die gleiche strategische Überlegung: Streuung der Risiken, um bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten im eigenen Bereich über ausreichend ertragsstarke Alternativen zum Ausgleich verfügen zu können. Deshalb war der Schritt in andere banknahe Geschäftsbereiche notwendig und strategisch sinnvoll. Experten attestieren der Bank ein professionelles Handling dieser Geschäfte. Wirtschaftsprüfer kontrollieren regelmäßig die Geschäftsabschlüsse und die Risikostruktur des Engagements. Diese sind Gegenstand von Erörterungen und Beschlussfassungen der Gremien in der Landesbank, in denen die Vertreter des Freistaates nicht die Mehrheit haben.”
Quelle: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Prof. Georg Milbradt im Sächsischen Landtag zur Sachsen LB am 9.3.2005
28.3.2008: “Die weitere Entwicklung des Sekundärmarktes für Hypotheken ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig. Er kann nicht nur das Anlagespektrum bedeutend erweitern, sondern auch bei der Verarbeitung von Risiken helfen.”
Quelle: Beyerle, T. / Milleker, D. (2005): Wohnimmobilien in finanzwirtschaftlicher Perspektive, Economic Research Allianz Group Dresdner Bank Working Paper Nr. 53 v. 10. Oktober 2005, S. 2.
18.3.2008: Das Ende der deutschen Bilanz rückt näher (Georg Giesberg in der F.A.Z. v. 18.3.2008, Nr. 66, S. 18). Zum 1.1.2009 soll das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) in Kraft treten. Giesberg bezeichnet dies als notwendige Folge der Globalisierung. Man muß sich darüber im Klaren sein, daß hinter dem deutschen Bilanzrecht eine ganz andere Philosophie steht als hinter den angelsächsisch geprägten International Financial Reporting Standards (IFRS), die zukünftig auch das deutsche Bilanzrecht prägen werden. Hinter unserem Bilanzrecht steht letzten Endes das Idealbild des ehrbaren Kaufmanns, der Vermögen und Schulden vorsichtig bewertet, der sich ärmer rechnet (Mehr Sein als Schein) und der mithin immer noch ein paar stille Reserven in der Hinterhand hat. Der ehrbare Kaufmann denkt langfristig und bilanziert nachhaltig. Und er handelt auch vorsichtig und verantwortungsbewußt. Das ist unsere deutsche kaufmännische Kultur. Diese Kultur zeigt sich nicht nur in unseren Bilanzierungsstandards, sondern auch in Finanzinstitutionen wie dem Pfandbrief und dem Bausparen. Wir wirtschaften solide und bauen keine Luftschlösser. Wer bei uns ein Eigenheim finanzieren will, sollte einen Job und Ersparnisse haben. Unsere Unternehmen schütten nur Gewinne aus, die sie auch am Markt verdient haben. Unsere Banken stellen die langfristige Kundenbindung in den Vordergrund und lassen ihre Kunden in schwierigen Zeiten nicht wie eine heiße Kartoffel fallen. Wir haben auch eine Botschaft, die angesichts der sich schrittweise zur Weltwirtschaftskrise ausweitenden Hypothekenkrise aktueller denn je ist: „Sei mit Lust bei den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir nachts auch ruhig schlafen können.“
13.3.2008: Unter der Überschrift „Genug diskutiert! Die Finanzkrise tritt in die bislang gefährlichste Phase ein. Es helfen nur noch unkonventionelle Maßnahmen“ läßt uns Mark Schieritz in DER ZEIT vom 13.3.2008 (S. 32) andeutungsweise an seinen unkonventionellen Rezepten zur Bewältigung der Finanzmarktkrise teilhaben: „Aber die Geldpolitik kann die Krise nicht allein meistern. Erstmals seit Jahrzehnten besteht die Gefahr einer Kernschmelze im Finanzsystem. Womöglich werden schon bald Maßnahmen nötig, die gegen alle ordnungspolitischen Prinzipien verstoßen, wie die vorübergehende Nationalisierung von US-Banken. Oder Gesetze, die die Institute dazu zwingen, ihren Kunden Kreditschulden zu erlassen. Oder eine staatliche Gesellschaft, die Immobilien erwirbt, um den Markt zu stützen. Die Fed hat bereits einen Schritt in diese Richtung getan. Sie akzeptiert bei ihren Geschäften mit den Banken neuerdings genau jene Hypothekenkredite als Sicherheiten, die sonst keiner mehr haben will. Eines macht dennoch Hoffnung: daß die Krise in den USA ausgebrochen ist. Die Amerikaner sind für ihre Marktgläubigkeit bekannt, haben aber auch gezeigt, daß sie zu schnellen und unkonventionellen staatlichen Eingriffen bereit sind, wenn es geboten ist. In Europa war man da oft noch dabei, über Grundsätzliches zu diskutieren.“
Man gewinnt den Eindruck, der Autor hat seine helle Freude daran, daß sich endlich die Gelegenheit ergibt, die lästigen ordnungspolitischen Prinzipien über Bord zu werfen. Banken könnten – natürlich nur vorübergehend – verstaatlicht werden. Um Gottes willen! Der Staat war noch nie ein guter Unternehmer. Was er aber am allerwenigsten kann, ist Banken führen. Da fallen einem sofort die Sachsen LB, die West LB, die Bayern LB und die IKB ein. Der Staat war bis jetzt nicht in der Lage, die für eine wirksame Kontrolle öffentlicher Banken nötigen Governance-Strukturen zu entwickeln. Es ist viel besser, wenn private Banken mit dem Geld ihrer Aktionäre spekulieren, als wenn öffentliche Banken dies mit dem Geld der Steuerzahler tun. „Gesetze, die die Institute dazu zwingen, ihren Kunden Kreditschulden zu erlassen“ wollen wir nicht, unter keinen Umständen. Das sind erwachsene Menschen, die ein bißchen viel riskiert haben und dies zum Teil auch aus spekulativen Motiven (Erwartung ewig steigender Hauspreise). Die müssen was auf die Finger bekommen. Sollen die Mieter jetzt die Häuslebauer subventionieren? „Eine staatliche Gesellschaft, die Immobilien erwirbt, um den Markt zu stützen“ wäre eine wahre Horrorvorstellung. Was soll Onkel Sam eigentlich mit den vielen 100.000 Eigenheimen machen? Sie auf Halde legen? Oder an die insolventen Eigentümer vermieten? Oder sofort mit Verlust weiterverkaufen? Übrigens ist der Immobilienhandel kein ganz risikofreies Geschäft. Sich auf die Fed zu berufen, die für den zugunsten von Bear Stearns gewährten Rettungskredit faule ABS als Sicherheit akzeptiert hat, macht die Sache nicht besser. Das Risiko tragen auch hier die Steuerzahler. Das Problem von Schieritz: Er denkt ausschließlich kurzfristig und er hat eine völlig falsche Vorstellung vom Ablauf der Lernprozesse an den Finanzmärkten. Dort herrscht eine rohe und grenzenlose Gier. Jeder ist sich selbst der Nächste. Ob die Kreditnehmer in der Lage sein würden, die aufgenommenen Kredite zu bedienen, hat niemand interessiert. Bei steigenden Preisen kann man sich ja aus dem Objekt befriedigen. Regeln werden nicht akzeptiert. Es finden sich immer Wege („Usancen“, näheres bei den Buddenbrooks), sie zu umgehen, z.B. die Verbriefung von Kreditbeziehungen außerhalb der Bilanz. Die Sachsen LB hat die Großkreditgrenzen umgangen, indem sie ihren Conduits Kreditlinien nicht für ein Jahr, sondern für 364 Tage gewährt hat – ganz schön pfiffig für eine öffentliche Bank. Den Wettlauf gegen den Einfallsreichtum der Finanzmärkte haben Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden von vornherein verloren. Die Märkte sind gar nicht mehr regulierbar. Die moralische Degeneration der Marktteilnehmer ist schon zu weit fortgeschritten. Die Menschen müssen sich ändern, nicht allein die Vorschriften. Und damit sie sich ändern, müssen sie wenigstens die Chance bekommen, aus ihren Fehlern zu lernen. Das gebrannte Kind scheut das Feuer. Es macht mir auch keine Hoffnung, “daß die Krise in den USA ausgebrochen ist”. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß die Krise ohne Rücksicht auf die Nebenwirkungen und langfristigen Folgen mit den falschen Mitteln bekämpft wird. Was die Fed dort treibt, ist ein nervöses Herumflattern ohne langfristige Strategie. Sie versucht, die Feuer auszutreten, wo sie entstehen. Das geht allmählich zu Lasten ihrer Autorität. Und “marktgläubig” sind die Amerikaner auch nicht. Der Markt ist für sie nur ein Mittel zum Zweck. Die Amerikaner glauben an ihre Nation und daran, daß es immer einen leichten Ausweg gibt. Es herrscht ein naiver Optimismus vor. Ob der Ausweg sich in irgendeine abstrakte Ordnung einfügt, ist egal. Der Ordoliberalismus ist bekanntlich nicht in den USA entstanden. Wenn wir diese Krise mit ordnungspolitisch inaktzeptablen Methoden abzufedern versuchen, wird die nächste Krise um so schlimmer. Dann kommt es vielleicht sogar zur „Kernschmelze“. Was wir jetzt brauchen ist eine Reinigungskrise. Die Luft muß aus den Vermögenspreisblasen raus und alle, die spekuliert haben, brauchen was auf die Finger. Und laßt uns in Zukunft immer das Geld knapp halten.
19.2.2008: “Früher waren eben einige Menschen, wenn die in der Vorlesung was sagten, was man nicht verstand, dann wetzte man zur Bibliothek und schlug das nach. Es gehört ein bißchen Passion, Leidenschaft, dazu. Wenn man die nicht hat, soll man es bleibenlassen. Heute gibt es so viele, die tun keinen Schlag, bevor sie nicht ein Stipendium sicher haben, statt von sich aus loszuackern. ... Man lernte so unendlich viel in den alten Fakultäten, und heute lernen sie überhaupt nichts mehr außer Strippenziehen. Es ist einfach traurig, und so denke ich mit Trauer an die deutsche Universität zurück und mit Trauer an ein Land, das hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.” Quelle: Gespräch mit Wilhelm Hennis, F.A.Z. v. 18.2.2008, S. 36.
15.2.2008: “Jeder Mensch hat jedoch seine eigene Definition von Wohnen” - aus einer Klausur im Lehrfach Wohnungswirtschaft -
17.1.2008: Die FAZ von heute (S. 21) berichtet unter der Überschrift “Ratingagentur erwartet noch mehr Subprime-Verluste” über das Heraufsetzen der Verlusterwartung durch die Ratingagentur Standard & Poor’s. Die Agentur hat nun den erwarteten Verlust für die im Jahre 2006 begebenen strukturierten Wertpapiere aus Subprime-Hypotheken von 14 auf 19 Prozent des unterliegenden Kreditportefeuilles hochgesetzt. In dem Beitrag heißt es dazu, daß “die Annahmen von S&P noch eher optimistisch erschienen”. Jetzt erscheint es sogar möglich, daß selbst mit AAA geratete Tranchen von strukturierten RMBS und CDOs völlig ausfallen. Es wäre nicht verfrüht, wenn der Finanzminister des Freistaats Sachsen sich Gedanken macht, wie er die Forderungen aus der Landesbürgschaft befriedigen will, die den Verkauf der Sachsen LB an die LBBW ermöglicht hat. Im nachhinein kann man über die Methodik der Ratingagenturen nur den Kopf schütteln. Die haben einfach die Erfahrung aus der Vergangenheit, daß es im Subprime-Segment bis zu 15 Prozent Ausfälle geben kann, auf die Zukunft übertragen. Bei vielen der strukturierten Wertpapiere erleidet die oberste Tranche bei Ausfällen oberhalb von 15 Prozent bereits Verluste. Das ist angesichts der Tatsache, daß das Subprime-Segment in den letzten Jahren absolut und relativ viel größer geworden war als jemals zuvor (und dies auf Kosten der Qualität der unterliegenden Kredite) eine unglaubliche Schlamperei. Die Agenturen hätten die Papiere wesentlich früher herabsetzen müssen – und nicht erst als die Kreditausfallraten zu steigen begannen.
|