Einführendes zum Thema Wohnen
Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die Versorgung mit dem Gut Wohnen ist ein wesentliches Element der physischen Existenzsicherung.
Aber Wohnen ist weit mehr als ein Dach über dem Kopf. Die Definition des Wohnens (siehe unten) schließt das Wohnumfeld und die soziale Nachbarschaft mit ein.
Das bringt der von Ogilvy & Mather entworfene Schwäbisch Hall Spot “Du kaufst kein Haus” ebenso unterhaltsam wie treffend zum Ausdruck.
Die individuellen Wohnformen sind Ausdrucksformen der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Sie sind zugleich Manifestationen des Zeitgeistes, der Moden und der Trends, die die Wohn- und Einrichtungsformen prägen.
Einen guten Einstieg in das Thema Wohnen bietet der von Hugo Priemus auf der Jahrestagung 2007 des European Network of Housing Research in Rotterdam gehaltene Vortrag “Essentials of Social Housing”.
In der Einführungspräsentation zu meiner Vorlesungsreihe Wohnungswirtschaft nehme ich einige Gedanken von Priemus auf und versuche mich auf grundsätzliche Aspekte des Themas Wohnen zu beschränken.
Einen mit Zahlen und Fakten gespickten Überblick über die wichtigsten Entwicklungen in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft und die Konsequenzen für die Wohnungs-, Raumordnungs- und Stadtentwicklungspolitik gibt der Bericht der Bundesregierung über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland (Bundestagsdrucksache 16/13325 vom 4.6.2009). Dieser Bericht wurde zwischenzeitlich neu aufgelegt (Bundestagsdrucksache 17/11200 vom 22.10.2012).
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat zum dritten Mal seinen Bericht über die Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland (2011) vorgelegt - eine umfassende Darstellung der aktuellen Trends und der zu erwartenden Entwicklungen auf den Wohnungs- und Immobilienmärkten.
Wer jetzt noch nicht genug Zahlen und Daten über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft “verarbeitet” hat, dem sei noch die BMVBS-Publikation Wohnen und Bauen in Zahlen 2011/2012 ans Herz gelegt.
Und nicht zu vergessen das Jahresgutachten 2013/2014 des Sachverständigenrates, das heuer ein Kapitel über den deutschen Immobilienmarkt enthält, darin Empfehlungen an den Gesetzgeber unter anderem im Hinblick auf die geplanten Mietpreisbremsen und die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus (die der Rat ablehnt).
Einen Ãœberblick über die Angebots- und die Nachfrageseite des deutschen Wohnungsmarktes, seinen Regulierungsrahmen und Trends in der Wohnungsmarktforschung und Wohnungspolitik habe ich in meiner Präsentation “Housing market and housing policy in Germany” - ursprünglich verfaßt für den Workshop der ENHR Working Group on Private Rented Sector in York am 28. April 2009 und überarbeitet für meinen Vortrag in Osaka im Februar 2011 - gegeben (deutsche Fassung: Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik in Deutschland).
Bedeutendes zum Thema Wohnen
Die gesellschaftliche, die sozialpolitische und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Wohnens machen die besondere Stellung des Gutes Wohnen und der Wohnungspolitik aus.
Die gesellschaftliche Bedeutung des Wohnens reicht über die individuelle Sphäre weit hinaus. Wohnen ist auch eine Form der sozialen Interaktion. Man wohnt in Nachbarschaften. Der Standort der Wohnung ist prägend für die Einbettung in soziale Beziehungsnetze. Diese Beziehungsnetze werden immer komplexer, weil die ethnische und kulturelle Zusammensetzung der Bevölkerung immer heterogener wird. Als Stichworte seien hier interkulturelles und grenzüberschreitendes Wohnen genannt.
Für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft wird das Wohnen immer mehr zu einem entscheidenden Faktor. Ob die Integration zukünftiger Einwanderer gelingen kann, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Alteinwohner und Zuwanderer mehr zur sozialen Segregation oder mehr zum interkulturellen Zusammenleben in gemeinsamen Wohnquartieren neigen werden.
Die sozialpolitische Bedeutung des Wohnens wird von der Vorstellung bestimmter gesellschaftlicher Mindeststandards für ein menschenwürdiges Wohnen bestimmt. Diese Mindeststandards sollen unabhängig vom jeweiligen Haushaltseinkommen verwirklicht werden können. Wo das Einkommen nicht ausreicht, wird die Kaufkraft gezielt durch Wohngeldleistungen oder Leistungen für Unterkunft im Rahmen des Arbeitslosengeldes II verstärkt. Auch die soziale Wohnraumförderung senkt die Mietbelastung einkommensärmerer Haushalte. Außerdem kommt ihr die Aufgabe zu, ein ausreichendes Wohnraumangebot für diskriminierte Gruppen mit eingeschränktem Marktzugang zu gewährleisten.
Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Wohnens läßt sich anhand verschiedener Indikatoren aufzeigen. Aus der Sicht der Mieter kommt dem Wirtschaftsgut Wohnen schon allein deshalb eine große Bedeutung zu, weil sie im Durchschnitt fast ein Viertel ihres gesamten Haushaltsbudgets für die Miete aufwenden müssen (ohne warme Betriebskosten). Noch höher liegt die durchschnittliche Wohnkostenbelastung der Eigentümerhaushalte in der Rückzahlungsphase.
Die Wohnungsbauinvestitionen machen trotz der rückläufigen Entwicklung der letzten Jahre mit 123,5 Mrd. € im Jahr 2002 immer noch 58 Prozent der gesamten Bauinvestitionen und fast 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Mehr als 50 Prozent des gesamten deutschen Volksvermögens sind in Immobilien gebunden. Der Wert dieses Immobilienbestandes liegt bei rund 7,14 Bill. €. Davon entfallen 5,51 Bill. € auf Wohnimmobilien. Das ist mehr als das 2,5-fache des Bruttoinlandsprodukts von 2002.
Nicht zu verkennen ist ferner die Bedeutung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft für die Sicherung der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung. Ende Juni 2002 waren in den 78.526 Unternehmen des deutschen Bau- und Immobiliengewerbes fast 2,4 Mio. Mitarbeiter beschäftigt. Der Wohnungsbau ist traditionell die bedeutendste Auftragssparte der Bauwirtschaft. 90 Prozent der Wohnungsbauleistungen werden durch Handwerksbetriebe erbracht.
Dem Wohnungsbau kommt schließlich eine eminente städtebauliche und raumordnungspolitische Bedeutung zu, die über die Funktion eines sogenannten „weichen Standortfaktors“ weit hinausreicht. Die städtebauliche Bedeutung des Wohnens wird angesichts der städtebaulichen Konsequenzen des einsetzenden säkularen Bevölkerungsrückgangs in Zukunft noch steigen. An dieser Stelle sei nur das politische Projekt des „Stadtumbaus Ost“ genannt, bei dem es um die geordnete Schrumpfung der ostdeutschen Städte geht. Die unumgänglichen Rückbaumaßnahmen sollen städtebaulich so gesteuert werden, daß lebenswerte Stadtlandschaften entstehen bzw. erhalten bleiben.
Angesichts der demographischen Entwicklung wird für die absehbare Zukunft der Schwerpunkt der Wohnungsbautätigkeit nicht im Neubau, sondern in der Bestandsanpassung und -sanierung liegen. Die Wohnungsbauförderung hat aus dieser Entwicklung bereits die Konsequenzen gezogen und im Bereich der sozialen Wohnraumförderung die Bestandsorientierung der Förderung verankert.
Definitorisches zum Thema Wohnen
Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation ist Wohnen „die Verbindung von Wohnunterkunft, Zuhause, unmittelbarem Wohnumfeld und Nachbarschaft“.
Mit dieser Definition sind neben dem “Dach über dem Kopf” auch die Rolle der Wohnung als Lebensmittelpunkt und Zufluchtstätte sowie das Wohnumfeld angesprochen, zu dem der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann auch das Image eines Gebiets zählt: „Und zur Wohnumwelt zählt neben der Lage, neben den landschaftlichen oder städtebaulichen Qualitäten und neben der Infrastruktur auch das Image eines Gebiets, das von seinen Bewohnern geprägt wird.“
Zum Wohnen gehört natürlich auch die Einbettung des Einzelnen in seine soziale Nachbarschaft. Die soziodemographischen Strukturen des umgebenden Wohnmilieus bestimmen die Lebenschancen junger Menschen entscheidend mit.
Unterhaltsames zum Thema Wohnen
Die Wohnverhältnisse benachteiligter Bevölkerungsschichten und das soziale Engagement zu deren Verbesserung sind ein Thema des Hollywood-Klassikers It’s a wonderful life (deutscher Titel: Ist das Leben nicht schön?) von 1946 mit James Stewart in der Hauptrolle. Hier wird eine Lanze für das klassische philantropische Gedankengut der Bausparbewegung gebrochen. Das kollektive Bausparen eröffnet auch benachteiligten Bevölkerungsschichten den Zugang zum Eigenheim. Das Eigenheim wird hier als der Königsweg zur Ãœberwindung beengter und ungesunder Wohnverhältnisse angepriesen.
Mit den Schwierigkeiten bei der Verwirklichung des Traums vom eigenen Heim beschäftigt sich der legendäre ARD-Dreiteiler Einmal im Leben von Dieter Wedel. Die Familie Semmeling entschließt sich, den Sprung ins eigene Heim zu wagen und erlebt dabei alle denkbaren größeren und kleineren Katastrophen und Unglücksfälle wie z.B. Mehrkosten und Terminüberschreitungen. Am Ende sind die Semmelings mit den Nerven am Ende, aber glücklich: Dieses unvergleichliche Gefühl, wenn man morgens zum ersten Mal im eigenen Heim aufwacht, gibt es wirklich.
Die Einstellungen der Bevölkerung zum Wohneigentumsgedanken hängen nicht allein von der Zahl der Kinder ab. Sie sind in auch kulturell geprägt. Schon innerhalb Deutschlands gibt es hier bekanntlich große Unterschiede. Im Schwabenland hat der Wohneigentumsgedanke besonders viele Anhänger. Das Eigenheim wird hier als wesentlicher Baustein der langfristigen Vermögensbildung angesehen, für den sich Konsumverzicht auf anderen Gebieten unbedingt lohnt. Diese Erkenntnis findet sich auch in dem bekannten Volkslied “Schaffe schaffe Häusle baue” wieder, das manche auch als schwäbische Nationalhymne bezeichnen. Zum Text des Liedes.
Zitierfähiges zum Thema Wohnen
“Was hat man ihm (dem kleinen Mann) nicht alles versprochen: das Land Utopia, den kommunistischen Zukunftsstaat, das Neue Jerusalem, selbst ferne Planeten. Er aber wollte nur eines: ein Haus mit Garten”. Gilbert Keith Chesterton
“Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.” Christian Morgenstern
“Die Wohnungsfrage ist so vielgestaltig, daß kein Laie sie ganz zu übersehen vermag. Um so mehr bietet sie jedem die Möglichkeit, sie von irgendeiner Seite zu erfassen, ihr in irgendeinem Einzelproblem sein Interesse zu schenken.” Gertrud Bäumer: Soziale Zukunftsfragen, 2. Wohnung, in: Die Frau, 24. Jg., 1916, Nr. 3, S. 136
Wohnungspolitik ist ein Querschnitt durch andere Politiken, die im Grunde eine Matrixorganisation der Regierung verlangt. Stefan Kofner
“I advocate a productive role for the resident in the housing market and the house-building market: “People provide and create their own housing. This is the angle from which I shall study housing.” Einführungsvorlesung von Hugo Priemus aus dem Jahr 1977.
Nachdenkliches zum Thema Wohnen
Tucholsky hat die in seinem Gedicht “Das Ideal” die individuelle Bedeutung, die Mehrdimensionalität und die Widersprüchlichkeit des Wohnbedürfnisses beschrieben.
Im Jahre 1973 hat die Gruppe Roxy Music eine düstere Ballade mit dem Titel In every Dream Home a Heartache aufgenommen. Darin werden mit bitterer Ironie die neuesten Wohntrends aufs Korn genommen, z.B. das Wohnen im smart town apartment, der offene Wohnbereich (open plan living) und der Bungalow Ranch style (von George Bush Junior gepflegt). Die entscheidende Frage, was man in all dem modernen Komfort mit sich anfängt (“But what goes on, What to do there?”) bleibt gleichfalls nicht unbeantwortet (zum Text des Liedes).
Eine sehr skeptische Perspektive gegenüber der Möglichkeit, sich durch einen bestimmten Einrichtungsstil eine Insel des wahren Lebens inmitten des falschen zu schaffen, hat Theodor W. Adorno in den Minima Moralia (I, 18. Asyl für Obdachlose) eingenommen: Seine Betrachtungen zu diesem Punkt gipfelten in dem berühmten Satz: “Es gibt kein richtiges Leben im falschen.”
Die tiefschürfenden philosophischen Betrachtungen Heideggers zum Thema Bauen und Wohnen aus seinem im Jahre 1951 in Darmstadt gehaltenen Vortrag sind unbedingt lesenswert: Martin Heidegger: Bauen Wohnen Denken, in: Gesamtausgabe, Band 7, Vorträge und Aufsätze, Vittorio Klostermann, 2000. Jeder angehende Architekt, Stadtplaner oder Wohnungswirt sollte außerdem den Aufsatz “Bauen Wohnen Nachdenken” von Gerd Achenbach gelesen haben, der im Juni 1998 in Wolkenkuckucksheim, 3. Jg., Heft 2 erschienen ist. Das ganze Heft ist einzig und allein der Auseinandersetzung mit Heideggers Aufsatz gewidmet.
Die Bibel beschäftigt sich im Dritten Buch Mose ausführlich mit Fragen des Grundeigentums. Der wichtigste Leitsatz lautet hier: “Denn das Land ist mein, und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir.”
Besonderes zum Thema Wohnen
Der Wohnungsmarkt ist im Schrifttum als „klassischer Interventionsmarkt“ bezeichnet worden. Der Grund für die intensive staatliche Einflußnahme auf die Wohnungsmärkte liegt in den ökonomischen Besonderheiten des Wirtschaftsgutes Wohnen. Es fängt damit an, daß die Errichtung von Wohnraum eine Form von Bodennutzung darstellt. Der Boden ist aber seinerseits ein ganz besonderes Wirtschaftsgut, nämlich eine sogenannte “erschöpfbare Ressource” . Das Eigentum an Grund und Boden darf daher nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen (Bauplanungsrecht, Bauordnungrecht, städtebauliches Satzungsrecht, Nachbarschaftsrecht) ausgeübt werden. Weitere Besonderheiten des Gutes Wohnen bilden die hohen Transkationskosten, die Unvollkommenheiten bei der Preisbildung, die Neigung zu Schweinezyklen und der erschwerte Marktzugang für diskriminierte Gruppen. Damit ist die Aufzählung noch lange nicht abgeschlossen.
Es sind diese Besonderheiten, die das Wohnen zum Objekt eines eigenständigen Politikbereichs machen - der Wohnungspolitik. Die Handlungsfelder staatlicher Intervention am Wohnungsmarkt sind vielfältig. Sie reichen von der Förderung von Wohnungsbauinvestitionen und der Erleichterung des Marktzugangs für diskriminierte Gruppen bis hin zur Förderung der Wohneigentumsbildung von Familien.
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