Blog-Archiv Mai 2007

29.5.2007: Verkäufe privater Hypothekarkredite durch Sparkassen

22.5.2007: Grundlagen SGB II

17.5.2007: Vorsorgender Sozialstaat

10.5.2007: Mieterhöhungen der WOBA Dresden GmbH

7.5.2007: Kombi- und Mindestlohn

 

 

29.5.2007: Der Spiegel von dieser Woche setzt sich zum wiederholten Male mit den Verkäufen privater Hypothekarkredite durch deutsche Banken auseinander (S. 92). Dieses Mal geht es um die skandalösen Aktivitäten verschiedener Sparkassen auf diesem Gebiet.
Worum geht es? Deutsche Banken “bereinigen ihre Kreditbücher”, indem sie Kreditpakete an spezialisierte Dienstleister wie die texanische Lone Star-Gruppe verkaufen. Diese Pakete enthalten offenbar nicht immer nur notleidende Kredite. Die Kreditaufkäufer sind natürlich nicht an einer langfristigen Kundenbeziehung interessiert und sie haben in der Region auch keinen Ruf zu verlieren. Ihr Geschäftsmodell funktioniert so: Die Immobilie so schnell wie möglich durch Verkauf oder Zwangsversteigerung verwerten und damit einen über dem Ankaufspreis des Kredites und den Transaktionskosten liegenden Erlös erzielen. Die Betroffenen fangen an, den Wiederstand zu organisieren.
Auf der Verkäuferseite findet man als Vorreiter unter den Sparkassen insbesondere ostdeutsche Sparkassen, darunter auch die inzwischen in einer Fusion mit der ehemaligen Sparkasse Löbau-Zittau aufgegangene Niederschlesische Sparkasse in Görlitz.
Die Verantwortlichen in Vorstand und Aufsichtsrat schaufeln sich ihr eigenes Grab. Sparkassen sind öffentliche Banken mit einer besonderen Verpflichtung gegenüber ihrer jeweiligen Region. Ob notleidend oder nicht, es sollte für eine Sparkasse grundsätzlich nicht in Frage kommen, Kredite ihrer Kunden an derartige Kreditfledderer zu verkaufen. Sie stehen in der moralischen Pflicht, sich selbst mit gestörten Kreditbeziehungen auseinanderzusetzen. Wenn Sparkassen solche Geschäfte machen, dann hat sich das Sparkassenprinzip überlebt. Dann sollen sie meinetwegen privatisiert werden. Die Frage ist nur, wo  man überhaupt noch hingehen kann, um eine Hypothek aufzunehmen.
Alles in allem wieder ein Mosaiksteinchen in der gar nicht mehr so schleichenden Transformation unserer Wirtschaftsordnung. Das ist die Globalisierung: Private Equity-Fonds, Hedge-Fonds und Kreditfledderer bestimmen jetzt zunehmend die Spielregeln. Sparkassen und kommunale Wohnungswirtschaft sind Auslaufmodelle. Die angelsächsische Spielart des Kapitalismus erobert Deutschland. Ist das noch die Marktwirtschaft, die Ludwig Erhard sich vorgestellt hat?

 

22.5.2007: Die Teilnahme am Grundlagenseminar zum SGB II von Harald Thomé hat sich für mich sehr gelohnt. Das Seminar hat in Wuppertal stattgefunden, also an einem Ort, wo es nicht eben wenige Betroffene gibt. Die Teilnehmer waren größtenteils in der Sozialberatung tätig. Es ist wichtig, daß die Berater die komplexe Materie des ALG II beherrschen, damit sie die wirtschaftliche Situation der Ratsuchenden verbessern können.
Harald kommt selber auch aus der Sozialberatung, so daß er einen durchgängigen lebenspraktischen Bezug zum Thema hat. Obwohl er zu den hier anstehenden Fragen in der Regel eine klare Meinung hat, kann er diese auch zurückhalten und rein sozialrechtlich argumentieren. Harald Thomé dürfte einer der besten Kenner der deutschen Sozialgesetzgebung sein.
Der Seminarstil ist locker, aber auch intensiv. Die Teilnehmer können ihre Erfahrungen und Fragen einbringen, was die Seminare sehr bereichert. Haralds Empfehlungen und Stellungnahmen sind nie aus der Hüfte geschossen, sondern stets sorgsam abgewogen. Und sollte er einmal etwas nicht wissen, dann gibt er das auch zu.
Die Inhalte des Seminars sind für die Betroffenen ebenso bedeutsam wie für die angehenden Experten schwer verdaulich. Obwohl ich mich bereits mit dem Thema beschäftigt hatte, bin ich auf sehr viele Aspekte und Probleme der Rechtsanwendung gestoßen, an die ich bis jetzt gar nicht gedacht hatte, z.B. die Unterschiede zwischen Bedarfsgemeinschaft, Haushaltsgemeinschaft und Wohngemeinschaft, Bedarfsgemeinschaften zwischen verschiedenen Leistungssystemen, Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen, Behandlung von wechselnden Einkünften, Einkommensteuererstattungen, Lernmittelkosten als Werbungskosten von Schülern,
um nur einige Punkte zu nennen.
Ich kann das Seminar ohne Einschränkungen empfehlen. Es ist aber kein Einführungsseminar für Teilnehmer ohne Vorkenntnisse. Zur Vorbereitung benötigt man einen Gesetzestext SGB II, den Leitfaden Alg II / Sozialhilfe der AG TuWas sowie Haralds Folienvortrag.

im Seminar

Meine Teilnahmebscheinigung

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17.5.2007: Was ist eigentlich der “Vorsorgende Sozialstaat”? Es gibt dazu ein Impulspapier zur Programmkonferenz am 25.11.2006 in Berlin. Verantwortlich dafür zeichnen die Genossen Beck, Müntefering und Struck. Darin wird folgende Definition verwendet: “Vorsorgender Sozialstaat heißt für uns: Der Sozialstaat sorgt vor, indem er alles unternimmt, um zu verhindern, daß soziale Notlagen überhaupt erst entstehen.”
Es geht aber nicht nur darum, den (nachsorgenden) Sozialstaat von Kosten zu entlasten. Es geht um Chancengleichheit anstelle von Ergebnisgleichheit. Der vorsorgende Sozialstaat muß sich das (freilich visionäre) Ziel setzen, jedem Kind die gleichen Chancen auf wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe zu gewähren. Er muß die Voraussetzungen für die Entfaltung von Persönlichkeiten schaffen.
Der vorsorgende Sozialstaat im Sinne der Autoren setzt auf die Eigenverantwortlichkeit der Menschen. Damit ist die Erhaltung der materiellen Lebensgrundlagen durch Erwerbsarbeit gemeint: “Der Vorsorgende Sozialstaat eröffnet allen, unabhängig von der Herkunft, dem Alter oder dem Geschlecht, Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe durch Erwerbsarbeit und sorgt dafür, dass die individuelle Leistungsbereitschaft und der Wunsch nach sozialem Aufstieg gefördert werden.” Am Ziel der Vollbeschäftigung wird konsequenterweise festgehalten. Auch die Verteilungsgerechtigkeit spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle (Verweis auf das Steuer- und Sozialversicherungssystem).
Wenn Eigenverantwortung und Erwerbsarbeit so im Vordergrund stehen, liegt es natürlich nahe, bei den Handlungsfeldern den Schwerpunkt auf die Bildungspolitik zu legen. Die Schlüsselrolle der frühkindlichen Bildung wird richtig erkannt. Ansonsten wird Bekanntes geboten (Ganztagsschulen, Gebührenfreiheit des Studiums). Der soziale Staat ist auch für exzellente Bildungsangebote an den Universitäten verantwortlich. Weiterhin wird eine “neue Weiterbildungskultur” gefordert. Mindestlöhne sollen verhindern, daß diejenigen die Arbeit haben, auf den Sozialstaat angewiesen sind.
Das Konzept des vorsorgenden Sozialstaats stellt grundsätzlich eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen dar, die sich aus dem dynamischen Strukturwandel der Wirtschaft und auch aus der demographischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ergeben. Der klassische Sozialstaat im Sinne einer reinen “Notfallstation” stößt hier auch an die Grenzen seiner finanziellen Belastbarkeit. Die Menschen müssen darüber hinaus in die Lage versetzt werden, mit den neuen Herausforderungen wenn möglich eigenverantwortlich fertig zu werden.
Das Papier berücksichtigt allerdings in zu geringem Maße die Voraussetzungen für Eigeninitiative. Im Bereich der Bildungspolitik bleibt zu wenig Raum für Privatinitiative. Warum werden die freigemeinnützigen Träger der Kinderbetreuung und die privaten Hochschulennicht erwähnt?
Davon abgesehen wird das Thema “sozialer Ausschluß” (social exclusion) in dem Papier nicht explizite angesprochen. Die PISA-Studie hat gezeigt, daß das soziale Milieu den Bildungserfolg der Kinder wesentlich mitbestimmt. Sozialer Ausschluß ist auch und gerade ein Problem der Wohnungspolitik und der Stadtentwicklung.

 

10.5.2007: Der Dresdner Stadtrat hat heute eine Anhörung zu den beabsichtigten Mieterhöhungen der WOBA Dresden GmbH durchgeführt. In der Anhörung sollten die rechtliche Zulässigkeit, die wirtschaftliche Angemessenheit und die sozialen Konsequenzen der Mieterhöhungen geklärt werden. Der Antrag ist von der Linksfraktion.PDS eingebracht worden. Es handelt sich dabei auch um eine Art Entlastungsangriff der schwer unter Druck stehenden Privatisierungsbefürworter in dieser Fraktion.
Die WOBA-Geschäftsführung hat während dieser Anhörung Gelegenheit erhalten, ihre Mieterhöhungspolitik zu rechtfertigen. Zunächst wurde auf die rechtlichen und vertraglichen Mietbegrenzungen verwiesen (siehe dazu auch meine für diese Anhörung erstellte Präsentation). Wenn die Zahlen stimmen, so fallen die durchschnittlichen Mieterhöhungen 2006 und 2007 im Verhältnis zu denen aus den Zeiten kommunalen Eigentums nicht aus dem Rahmen. Der Durchschnitt der WOBA-Bestandsmieten liegt nun nur noch ganz knapp unter dem durchschnittlichen Mietspiegelwert. Die jährlichen prozentualen Steigerungen der Durchschnittsmiete sind nicht spektakulär, doch sind 2006 1.504 und 2007 bereits 1.299 Mieten um mehr als 5 Prozent, darunter jeweils mehr als ein Drittel um mehr als 10 Prozent erhöht worden.
Natürlich behauptet die WOBA-Geschäftsführung, sie wolle die Mieter schon aus ihrem Eigeninteresse an einem möglichst geringen Leerstand heraus nicht überfordern. Das ganze macht aber doch den Eindruck einer systematischen Aufholung von Rückständen gegenüber der Vergleichsmiete. Die Anhörung hat ergeben, daß die vertraglichen Mietbegrenzungen dem kaum im Wege stehen werden.
Es kommt hinzu, daß die Mietbegrenzungen des BGB in Dresden eine andere Wirkung haben als in Stuttgart oder München. Die Vergleichsmiete fällt dort im Zweifel nicht weit hinter die aktuellen Neuvermietungsmieten zurück.
Einen taktischen Erfolg der linken Privatisierungsbefürworter stellt der Vortrag des Experten Bernd Hallenberg, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des vhw e. V., dar (siehe dazu auch seinen Aufsatz “Kommunale nicht besser als Private?”). Er hat über erste Ergebnisse eines vom vhw gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund (DMB) und der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) getragenen Forschungsprojektes berichtet. Die Daten sind allerdings nicht repräsentativ und das Vorgehen ist aus methodischer Sicht nicht überzeugend.
So wird zeitpunktbezogen die Verteilung der Durchschnittsmieten der kommunalen Wohnungsunternehmen und der neuen Investoren miteinander verglichen. Daraus wird dann abgeleitet, daß die neuen Investoren auch nicht schlimmer seien. Das ist so nicht zulässig, den die Mietenstruktur reflektiert auch die Wohnwertstruktur des jeweiligen Bestandes und die Vorgeschichte der Mieterhöhungen. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Dennoch ein Punktsieg für die linken Privatisierer - trotz der kritischen Nachfragen mancher Stadträte. Es bleibt die Frage, wie der den neuen Investoren gegenüber stets kritisch eingestellte Deutsche Mieterbund sich dazu positionieren wird.
Wir wollen nicht vergessen: Hinter der WOBA steht letzten Endes ein Private Equity-Fonds.  Dessen Investoren erwarten auf mittlere Sicht deutlich höhere Renditen als kommunale Wohnungsgesellschaften sie üblicherweise zu erzielen vermögen.

 

7.5.2007: Die F.A.Z. von heute (S. 8) präsentiert uns Roland Kochs wirtschafts- und sozialpolitischen Grundsatzartikel “Risikobereit und glaubwürdig”. Neben zeitlosen und zugleich parteiübergreifend gültigen Wahrheiten wie “Die CDU/CSU muß es wagen, ihren Überzeugungen zu folgen, auch wenn sie auf den ersten Blick Gefahr läuft, ihre Mehrheitsfähigkeit zu verlieren” enthält der Beitrag Betrachtungen zur Arbeitsmarktpolitik.
Es handelt sich aber nicht um eine hintergründige Attacke auf Angela Merkel oder die SPD. So bietet Koch der SPD “eine deutlich großzügigere Regelung des Arbeitslosengeldes I” als Kompensation für einen Abbau des Kündigungsschutzes an.
Vieles von dem, was Koch im arbeitsmarktpolitischen Teil vorträgt ist analytisch zutreffend. Die Ventilfunktion der Zeitarbeitsbranche hat er richtig erkannt. Zum Verhältnis von Kombi- und Mindestlohn stellt er fest: “Aber wenn die Qualifikation auf dem Markt diesen Preis nicht erzielt, gibt es in Wahrheit nur die Wahl zwischen der Kombination von Einkommen aus Arbeit und staatlicher Hilfe oder der vollständigen Arbeitslosigkeit und damit dem Leben vom Staat. Deshalb ist jeder Kombilohn gerechter und menschenwürdiger als ein Mindestlohn.”
Ist das so? Ein Kombilohn ist eine Lohnsubvention, die bei normalem Arbeitsangebotsverhalten zu steigender Beschäftigung, aber eben auch zu sinkenden Marktlöhnen führt. Damit erfüllt der Kombilohn aber die ihm von Roland Koch und anderen gestellte Aufgabe gar nicht unter allen Umständen. Es entstehen zwar zusätzliche Arbeitsplätze, aber es ist eine Frage der Elastizität der Arbeitsnachfrage der Unternehmen, wie sich die Einführung eines Kombilohns auf die Löhne nach Transferbezug auswirkt. Am besten wirkt ein Kombilohn natürlich bei einer sehr elastischen Arbeitsnachfrage. Er kann dann einen großen Beschäftigungseffekt bei einem vergleichsweise geringen Rückgang der Marktlöhne auslösen. Dann haben die Empfänger auch einen spürbaren Einkommensvorteil.
Ob die Nachfrage der Unternehmen gerade nach gering qualifizierten Kräften besonders flexibel ist, muß allerdings bezweifelt werden. Bei einer starren Arbeitsnachfrage besteht die Gefahr, daß der Lohnzuschlag weitgehend von sinkenden Marktlöhnen aufgefressen wird und sich außerdem kaum ein Beschäftigungseffekt einstellt. Allerdings würden die Unternehmensgewinne steigen und möglicherweise auch die Verbraucherpreise sinken - aber das war ja nicht der Zweck der Übung.
Jetzt kommt das auch von Angela Merkel gelegentlich vertretene Argument ins Spiel, man könne diese negativen Effekte ja mit einem Mindestlohn verhindern. Das macht das ganze aber nur schlimmer. Der Mindestlohn erzeugt bei normalem Angebotsverhalten auch in dieser Situation zusätzliche Arbeitslosigkeit.
Zwischenfazit: Mindestlöhne sind bei normalem Arbeitsangebotsverhalten immer schädlich. Sie vernichten Beschäftigung. Kombilöhne sind dagegen lange nicht so gefährlich. Werden sie in der falschen Situation eingesetzt, verpuffen sie, ohne daß es einem Arbeitnehmer schlechter geht.
Was aber, wenn sich das Arbeitsangebot anomal verhält (nach Prof. Bofinger ein Argument für Mindestlöhne), wenn also das Arbeitsangebot steigt, wenn die Löhne sinken und umgekehrt? Technisch gesehen kommt es dann auf das Verhältnis der Steigungen von Angebots- und Nachfragekurve an. Verläuft die Arbeitsnachfragekurve der Unternehmen flacher, so gibt es kein großes Problem. Es gibt einen Gleichgewichtslohn und die Marktanpassung nach Störungen des Gleichgewichts funktioniert - wenn auch möglicherweise verzögert. Ein Mindestlohn hat aber auch dann keinen Sinn. Auch hier erzeugt ein effektiver Mindestlohn zusätzliche Arbeitslosigkeit und höhere Insiderlöhne.
Verläuft die Arbeitsangebotskurve dagegen flacher als die Nachfragekurve, funktioniert die Marktanpassung nicht mehr. Ungleichgewichte können dann sogar immer größer werden, wenn die Marktteilnehmer nicht dazulernen. Solch eine Situation hatten wir in der Weltwirtschaftskrise. Das ist der einzige Fall, wo ein Mindestlohn Sinn haben kann. Möglicherweise tritt im Niedriglohnbereich tatsächlich ein derariges anomales Verhalten auf. Es ist vorstellbar, daß Arbeitsanbieter, die sich bereits am Rande des Existenzminimums bewegen, auf sinkende Löhne mit einer kräftigen Ausdehnung ihres Arbeitsangebotes reagieren, um ihre Existenz zu sichern.
Fazit: Die politische Diskussion um die Kombi- und Mindestlöhne ist verallgemeinernd und nicht ungefährlich. Beide Instrumente erreichen nur unter ganz bestimmten, vergleichsweise eng definierten Bedingungen die mit ihnen verfolgten Zwecke. Als Heilsrezepte für beliebige Anwendungsfälle eignen sich beide nicht - auch nicht bei kombiniertem Einsatz.
Es kommt hinzu, daß die Debatte um Kombi- und Mindestlöhne von den eigentlichen Problemen des Arbeitsmarktes ablenkt. Die Gesetze des Arbeitsmarktes lassen sich nicht umschiffen. Gute Arbeitsmarktpolitik ist Qualifizierung, Qualifizierung und noch einmal Qualifizierung. Alle müssen mitgenommen, alle müssen aktiviert werden, niemand soll “stillgelegt” werden. Kombi- und Mindestlohn können hier keine wesentlichen Beiträge leisten. Der Kombilohn beeinträchtigt sogar die Anreize zur Qualifizierung und Weiterbildung.
Nachtrag: Die Situation stellt sich von Region zu Region unterschiedlich dar. In der Oberlausitz würde ein allgemeiner Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro vermutlich negative Auswirkungen auf die Beschäftigung haben. Auf der anderen Seite ist der regionale Arbeitmarkt bei uns von hoher und verfestigter Arbeitslosigkeit gekennzeichnet, die auf absehbare Zeit mit den herkömmlichen Mitteln der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik nicht mehr beseitigt werden kann. Unter diesen Bedingungen ist ein gemeinnütziger Beschäftigungssektor zumindest für Personen mit mehreren Vermittlungshemmnissen aus Gründen der Teilhabe am öffentlichen Leben und des Gesundheitsschutzes vertretbar.
Nachtrag 2: Es kommt natürlich auch auf das Bildungssystem bis hin zur frühkindlichen Bildung an. Eine zu geringe Qualifikation ist in erster Linie eine Folge eines Bildungssystems, das zu wenig Wert auf die Förderung benachteiligter Kinder legt und der prägenden Kraft bildungsfeindlicher Milieus. Wenn der “vorsorgende Sozialstaat” hier etwas ausrichten will, muß er viel früher und tiefer ansetzen. Kombi- und Mindestlohn sind als Reparaturmaßnahmen weitgehend ungeeignet. Sie fördern auch nicht unbedingt die Chancengleichheit, weil sie die Arbeitsmarktdebatte von den präventiven Bildungsmaßnahmen ablenken und die Anreize für Aus- und Weiterbildung beeinträchtigen.
Nachtrag 3: Effektive Mindestlöhne beschleunigen die Inflation. Die von ihnen ausgelösten allgemeinen Preissteigerungen können reale Einkommensverluste breiter Bevölkerungsschichten nach sich ziehen.
Nachtrag 4: Gesetzliche Mindestlöhne sind auch aus ordnungspolitischer Sicht kritikwürdig. Eine Marktwirtschaft ist grundsätzlich durch freie Preisbildung gekennzeichnet. Wenn auf breiter Front Preise administriert werden, führt dies zu einer Transformation unserer Wirtschaftsordnung, die dann Züge einer Zentralverwaltungswirtschaft annimmt. Außerdem stellt sich die Frage nach der Durchsetzbarkeit von Mindestlöhnen in einem zunehmend amoralischen gesellschaftlichen Umfeld. Ich denke hier an die Razzien der Zollfahndung auf deutschen Baustellen. Effektive Mindestlöhne erhöhen die Anreize zur Schwarzarbeit. Der Staat reagiert darauf mit verschärften Kontrollen, die ihrerseits Ressourcen binden.
Nachtrag 5: Auch Hubertus Heil ist in seiner Pressekonferenz auf das Thema Mindestlöhne eingegangen. Er hat versucht, die Bedenken im Hinblick auf mögliche Arbeitsplatzverluste zu zerstreuen. Man könne den Lohn der sprichwörtlichen Thüringer Friseusen ruhig kräftig erhöhen, da Friseurdienstleistungen nicht handelbar seien. Es werden aber in gewissem Umfang Substitutionseffekte auftreten. Die Leute gehen einfach seltener zum Haareschneiden, greifen zur Selbsthilfe oder zur Schwarzarbeit. Davon abgesehen fragt man sich natürlich, was aus den Arbeitnehmern wird, die handelbare Güter produzieren.
Nachtrag 6: In der Mindestlohndebatte brauchen wir mehr Sachlichkeit. Bedenken im Hinblick auf die Sicherheit von Arbeitsplätzen dürfen nicht in den Wind geschlagen werden. Mehr Chancengleichheit ist wichtiger als mehr Arbeitsmarktregulierung.

 

 

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